Bad Heat on the Brasserie Lorraine

Liebe Genossenschaft Restaurant Brasserie Lorraine in Bern. Manchmal ist es im Geschäftsleben wie im Professionell Wrestling. Und hin und wieder schießt man kapitale Böcke, im Wrestling wie im Leben.
Im Wrestling wird immer versucht Heat zu erzeugen. „To get heat on somebody“ bedeutet, dass einer oder mehrere der Akteure aus Publikumssicht mit Emotionen behaftet, quasi aufgeladen werden. Und weil Heat nie ein Selbstzweck ist, muss man genau wissen, wie sie sich auszahlen soll. Der Bösewicht soll noch böser rüberkommen, der Held noch strahlender. Wir unterscheiden dabei zwei Arten von Heat: positive heat und negative heat. Beide Arten stehen in Wechselwirkung miteinander, beide Arten von Heat werden unterschiedlich erzeugt und in Wert gesetzt und man muss sehr vorsichtig im Umgang sein. Vor allem mit der negative Heat. Wenn diese nicht richtig kanalisiert wird, schlägt sie unvorteilhaft als Backlash zurück. Jetzt werden Leute kommen und sagen, dass Heat erzeugen nichts anderes wäre, als Aufmerksamkeit erregen und jede Art von Aufmerksamkeit ist richtig und gern gesehen (any news is good news). Leider gilt das nur in einem auf Kurfristigkeit angelegten Geschäftsmodell und schon gar nicht für „Marken“. Die erholen sich von negativer Aufmerksamkeit unter Umständen überhaupt nicht und sind irreparabel beschädigt.

Jetzt hat die gute Brasserie Lorraine Bern mit dem Konzertabbruch der Mundart-Band lauwarm förmlich nuclear heat erzeugt. Was genau passiert ist und warum erfahrt ihr aus den Medien, das trete ich hier nicht noch einmal breit. Nur soviel: man hat wohl die Rechnung falsch aufgemacht, indem man glaubte, der erwartete moralische Gewinn übertrifft die Verluste (ein paar empörte Konzertbesucher) um ein Vielfaches. Jetzt hat man unglaublich viel negative heat an der falschen Stelle erzeugt und wird sie nicht mehr los. Im Wrestling wäre das jetzt die Stelle, wo der Bösewicht in Stellung gebracht wurde, sich zutiefst hinterhältig und schlecht benahm und nun … und nun der strahlende Held fehlt, der die Situation mit seiner positive heat auflöst. Zu dieser Auflösung ist es nicht mehr gekommen. Der Held (die Band lauwarm) ist als Verlierer aus dieser Konfrontation gegangen, im Ruf beschädigt und die Brasserie wird die negative heat nicht los. Das Publikum ist zwar mega engagiert, weil es nicht das serviert bekommen hat, was es sehen wollte – aber letztlich auch unzufrieden mit dem Ausgang. Normalerweise sollte sich heat für die Beteiligten auszahlen. In diesem Fall mit positiven Bewertungen und mehr Gästen der Beiz. Aber seit Tagen ist man dort damit beschäftigt, negative Google Bewertungen löschen zu lassen und sich mit widersprüchlichen Pressemitteilungen noch tiefer reinzureiten. Ob die Besucherzahl konform sinkt, kann ich nicht beurteilen, aber zumindest Musiker und Künstler werden es sich bestimmt zweimal überlegen, ob sie dort auftreten werden. Dafür, dass der Fall nun sogar international Schlagzeilen macht, kann sich die Brasserie in Bern nichts kaufen. Heat ist eben kein Selbstzweck.

Die Marke „Genossenschaft Brasserie Lorraine“ ist jetzt massiv beschädigt und eigentlich müsste jetzt die Führungsetage bzw. die Verantwortlichen zurücktreten. Im Wrestling wäre der Booker auch gefeuert worden und die Wrestler für eine Zeit ins dog house gesperrt. Solche verbockten Aktionen haben auch schon manche Karriere beendet. Hätte man jetzt einfach mal im Handbuch für Brand-Manager nachgeschlagen oder brain.exe benutzt, dann würde man sicher mit einem großen Sorry aufgewartet haben, um Vergebung bitten und den Shitstorm versuchen abzureiten, ohne über jedes Stöckchen zu springen. Passiert aber nicht. Nur löst sich negative heat nicht einfach auf, nur weil man sich das wünscht.

Gratulation, das diesjährige Sommerloch heißt Layla

Krieg in Europa (Ukraine), wirtschaftliche Verwerfungen sowie überlastete Gesundheitssysteme (nicht ausschließlich aber auch wegen Corona) und eine baldige Gas- und Energiekrise – aber die Menschen haben die Diskussion um einen Ballermann-Hit namens „Layla“ zum diesjährigen Sommerloch gekürt. So schlecht kann es uns also noch nicht gehen.

Jetzt wird herzhaft gestritten und argumentiert. Darf dieser Song gespielt werden, sollte man ihn verbieten? Ist er sexistisch, rassistisch, antisemitisch, whatever? Geht jetzt die Hochkultur vor die Hunde? Und was ist überhaupt mit der Spider Murphy Gang, wo sich die Nutten die Füße plattstanden und jeder heute noch Rosis Nummer kennt (Datenschutz, irgendwer?).

Mir ist klar, dass in Krisenzeiten alles ein wenig anders funktioniert und die Leute nach banalen Aufregern suchen, um nicht täglich mit der Realität konfrontiert zu werden – aber so ein selten dämliches Thema, um das Sommerloch zu stopfen, hatten wir selten. Ich meine, es ist ja nicht einmal ein Sommerloch vorhanden, Themen gäbe es genug, die uns unter den Fingernägeln brennen sollten (siehe Eingangsparagraph). Es ist nicht so sehr das Vorhandensein eines Sommerlochs überhaupt; es ist nur diese unglaubliche Diskrepanz zwischen dem eigentlich Wichtigen und der dämlichen Layla-Debatte. Nur zur Erinnerung: es fühlte sich sogar der Bundesjustizminister berufen, einen Kommentar abzugeben.

Und nein, ich kann auch Eric Claptons „Layla“ nicht mehr hören.

Lasst doch die Leute hören, was sie wollen. Es sei denn, es verstößt gegen das Gesetz. Ansonsten gilt die Kunstfreiheit.

Ein Nachruf, den ich so nie schreiben wollte

Normalerweise veröffentliche ich hier nur halbwegs seriöse Inhalte und hätte nie gedacht, mal eine Art Nachruf zu schreiben.

Wobei, eigentlich finde ich Nachrufe ja nicht so prickelnd. Man hat immer das Gefühl, dass Nachrufe nie den richtigen Ton treffen und die darin geschilderten Aktivitäten zwischen banal und hochtrabend schwanken.

Also fasse ich mich hier kurz.

Ich habe auch noch gar nicht richtig realisiert, was passiert ist.
Ich weiß zwar, was geschehen ist – ich habe es zum Teil aus den lokalen Nachrichten erfahren – aber es ist noch nicht oben angekommen. Ich weiß auch, dass ab jetzt nie wieder (vorzugsweise) am Sonntag das Telefon klingeln wird und ich nicht mehr mit meiner Oma über Gott und die Welt sprechen werde. Ich werde wohl dennoch jeden Sonntag auf ein Klingeln warten oder den Mail-Account auf Nachrichten prüfen – und ich werde bitter enttäuscht werden. Und zwar jedes Mal, wenn wider besseren Wissens in mir die Erwartung wächst und mir das Unbewusste einen grausamen Streich spielt. Ein Beispiel: kurz nach der tragischen Nachricht lag eine ihrer geliebt kitschigen Oster-Postkarten im Briefkasten. Lebendig abgeschickt, nach dem Sterben angekommen. Ein Totengruß. Das war wirklich hart.

Alles nur, weil es einen absolut unnötigen und grausam verlaufenen „Unfall“ gab (die Polizeibehörden ermitteln noch, weshalb ich hier nicht alles im Detail schreibe, um die Klage nicht zu gefährden). Ja, wir alle wünschen uns, bei bester Gesundheit mit 120 Jahren im Kreise der Lieben einzuschlafen. Aber das ist eben nicht immer so. Nur, diese Art von Tod hat sie nicht „verdient“. Wie immer man verdienen auch definieren mag. Genugtuung, wenn die Schuldigen verurteilt werden? Am Ergebnis ändert es nichts. Es würde mich nur deprimieren, wenn sie davonkämen – aber vielleicht wird auch genau das passieren.

Da sie ca. 8.000 km weit weg wohnt, habe ich es nicht rechtzeitig zum „Service“ geschafft. Und auch vorher hätte ich definitiv wieder einen Besuch dort einrichten können. Habe ich nicht gemacht. Ich bin oft genug gebeten worden und ich habe es aus diesen und anderen Gründen nicht getan. Dann kam Corona und danach wäre ich vielleicht Schritt für Schritt bereit gewesen. Seit Jahren hat sich in meinem Innern die Gewissheit verfestigt, dass mir dies irgendwann auf die Füsse fällt. Nun ist es früher gekommen als gedacht und jetzt muss ich damit leben.

Und ich kann auch nur hoffen, dass sie trotz ihrer stets nach Außen getragenen Weigerung, über die Vergangenheit zu sprechen, im Heimlichen ein paar Notizen gemacht hat, mit denen wir die vielen Leerstellen in unserer holprigen und brüchigen Familiengeschichte füllen können.
Nun liegt sie auf einem Militärfriedhof im Niemandsland (fragt nicht). Und wenn der Witwer demnächst fortzieht (was er aufgrund des Alters und Verfasstheit tun wird), dann ist niemand mehr vor Ort, der mal zu diesem Grab geht, davor stehenbleibt und vielleicht nachdenkt, was für ein Mensch hier liegt. Das zu wissen stimmt mich traurig. Wie mich die ganze Sache sehr sehr müde und abgeschlagen zurücklässt.

Ukraine-Russland – viel Meinung, wenig Ahnung

Ich wollte eigentlich gar nicht so viel über die Ukraine und den Krieg dort schreiben. Einfach aus dem Grund, da ich nur Beobachter bin und bei den wenigen halbwegs seriös anmutenden Informationen aus der Ukraine und Russland nicht beurteilen kann, wie belastbar und vertrauenswürdig sie sind. Alles erschließt sich nur über historische Vergleiche und Auswertung von Fakten.

Viele reagieren jetzt mit Häme über das langsame Vorankommen der russischen Armee oder sprechen von einem Fiasko, Debakel, Desaster – ohne die nötige Expertise oder einen Einblick ins Geschehen zu besitzen. Ja, im Krieg können unvorhergesehene Dinge geschehen. Dinge und Ereignisse, die nicht alles, aber vieles ändern können. Solche Dinge kann man nicht vorhersehen und im Nachhinein haben aber alle gewusst, dass es nur so kommen konnte. Es gibt viel Meinung, bei wenig Wissen und Ahnung.

Bei richtiger Führung, klarem (machbaren!) Auftrag und entsprechender Planung würden wir heute längst die Ausgestaltung der ukrainischen Kapitulation besprechen. Es ist auch nicht gesagt, dass wir das in ein paar Wochen nicht auch tatsächlich tun werden. Es schwebt ja immer der 9. Mai als Deadline im Raum.
Russland hat immer noch alle Möglichkeiten, seine wie auch immer gesetzten Ziele zu erreichen. In Kiew spricht man stolz von „Rückeroberungen“, dabei rücken die ukrainischen Soldaten nur in die Orte und Gebiete nach, die die russische Armee zuvor aufgegeben hat. Nicht im Kampf verloren, sondern aufgegeben. Der Rückzug über die russische oder weißrussische Grenze erfolgt nur zum Zweck der Wiederaufstellung zerschlagener Einheiten, der Auffüllung mit Treibstoff, Munition und Gerät oder Umgruppierung zur Schwerpunktsetzung im Südosten. Der ukrainischen Armee kann man Beharrlichkeit, Widerstandswillen und auch geschicktes Taktieren attestieren, aber sie hat derzeit keine Chance, den Aggressor aktiv vom eigenen Territorium zu vertreiben. Eine Kriegspartei, die nur in der Defensive steht, kann auf Dauer einen Konflikt nicht gewinnen. Das sollte man immer im Hinterkopf behalten, aller Propaganda zum Trotz.

Heute, 6 Wochen nach Kriegsbeginn, zeichnet sich uns ein Bild, in dem Putins Soldaten tatsächlich einen Blitzkrieg gegen Kiew führen sollten. Die vielen Angriffskeile, die die Masse des ukrainischen Heeres binden sollten, der extra über das verseuchte Gelände von Tschernobyl vorgetragene Vorstoß (um Zeit zu sparen) auf Kiew, der Kampf um den Flugplatz Hostomel mit Spetznaz Einheiten – das alles weist auf einen versuchten Enthauptungsschlag der militärischen und politischen Führung des Landes hin. Offensichtlich hat man sich im Kreml aber in vielen Dingen katastrophal geirrt. Wer da jetzt wen falsch informiert hat (oder es noch immer tut) – alle spekulieren, keiner weiß es. Wer wurde vom Oberbefehlshaber Putin unter Hausarrest gestellt, gefeuert oder auch nur kaltgestellt? Das Agieren des russischen Militärs in den ersten Tagen des Krieges, macht jedenfalls nur unter der Annahme einen Sinn, dass die ukrainische Bevölkerung die russischen Soldaten als Befreier willkommen heißt und die ukrainischen Militärs keinen Finger rühren werden. Und nein, für so dumm sollte niemand die russische Armee halten, dass sie ohne Aufklärung, ohne begleitende Infanterie, ohne Verbund der Streitkräfte aus der Luft ihre Panzerkolonnen ungeschützt durch „Feindesland“ fahren lässt. Sie haben oft genug bewiesen, dass sie zu einer modernen Kriegsführung im Waffenverbund fähig sind. Sie haben das Material und eigentlich auch das Personal und die größeren Ressourcen. Wer sagt uns, dass sie bei den nächsten Offensiven im Donbass und Südosten – die definitiv erfolgen werden – nicht aus ihren Fehlern gelernt haben und taktisch anders vorgehen? Es ist mitnichten so, dass man von einem generellen Versagen sprechen kann und es sich bei den Invasionstruppen im zerschlagene Bataillone handelt, wie ich es kürzlich mit einem Anflug von Fremdscham in einer großen deutschen Zeitung lesen musste.

Wir unterschätzen die Opferbereitschaft der russischen Soldaten, und vor allem der russischen Gesellschaft. Wir reden uns gern ein, dass es da zwei Russlands gibt – einmal das böse Regime kriegslüsterner Despoten und dann das friedliebende, zivilgesellschaftliche Russland. Das aktuelle Meinungsbild vom Meinungsinstitut Levana sagt da etwas anderes. Es ist eine einzige Gesellschaft, die zwar unterschiedliche Facetten zeigt, aber im Kern geschlossen hinter ihrer Führung steht. Ja da kann man mit dem Finger auf die böse Putin-Propaganda zeigen und sich einreden, dass das russische Volk es ja nicht besser wissen konnte – aber ich fürchte, das passt einfach nur zu gut in unser Narrativ. Wladimir Putin ist es egal, wieviele Flugzeuge, Panzer und Soldaten seine Armee verliert. Auch der wohl rechtswidrige (?) Einsatz Wehrpflichtiger regt ihn nur insofern auf, als dass man ihn über diesen Fakt nicht informiert hat. Das ist alles „Verbrauchsmaterial“ auf dem Weg zum Ziel. Und dieses Ziel ist durchaus noch erreichbar. So sieht er das. So sehen seine Vertrauten das. Seine Einheiten arbeiten sich Stück für Stück voran, die Raketen und Bomben zerstören Stück für Stück die ukrainische Infrastruktur und Wehrhaftigkeit. Fällt Mykolajew, fällt Odessa. Fällt Dnipro, fällt Kiew. Fallen Kiew und Odessa, fällt Lwiw und die Westukraine.

Würde die Einsatzgruppe im Westen Weißrusslands auch noch eingreifen und von Brest in Richtung Süden vorstoßen, wären auch die Nachschublieferungen der westlichen Europäer mit einem Mal beendet. Der Grund, warum diese Einheiten nicht schon längst aktiv geworden sind, ist unklar. Möchte man die Nato-Anrainer nicht provozieren? Ist der Nachschub sogar vernachlässigbar, weil die Raketen und Marschflugkörper mehr zerstören, als geliefert werden kann? Ist es, weil dieser Vorstoß nur im Verbund mit den weissrussischen Streitkräften des Alexander Luschenko durchführbar wäre? Der letzte Diktator Europas hält sich bisher immer noch zurück und hofft wieder einmal mit seiner Schaukeltaktik durchzukommen. Gegen die Nutzung seines Landes als Aufmarsch- und Versorgungsgebiet der russischen Armee kann er nichts unternehmen, er ist Putin wegen 2020 noch eine ganze Menge schuldig. Aber der Krieg in der Ukraine ist bei der weissrussischen Bevölkerung unpopulär Genauso unpopulär ist er in Teilen der Armee. Angeblich ist sogar der Generalstabschef Viktor Gulevich zurückgetreten, weil Teile der Armee und des Offizierskorps mit offener Rebellion gedroht hätten. Das wäre schon starker Tobak, lässt sich aber wie vieles nicht verifizieren. Auch die Sabotageakte gegen die belarussischen Eisenbahn sind womöglich eher Nadelstiche als entscheidend, aber zumindest sind sie ein Hoffnungsschimmer, dass die Weissrussen sich nicht komplett vereinnahmen lassen.

Ach ja, das mit den Sanktionen. Mir kommt es so vor, als ob diese Sanktionen eher ein Mittel sind, um den moralischen Kompass des Westens einzunorden. Diese Sanktionen werden den Krieg nicht beenden und ihn auch nicht verkürzen. Sie werden auchn Putin nicht stürzen, egal was westliche Lautsprecher sich erträumen. Die russische Militärmaschinerie ist auf Kooperation mit dem Westen nicht angewiesen. Ihr gehen keine Ressourcen aus. Herr Putin muss nichts importieren, um Panzer, Bomben oder Flugzeuge zu bauen. Öl für Treibstoff hat er genug. Auch wird in Russland niemand verhungern, weil plötzlich McDonalds keine Quetschbulette mehr verkauft. Bei Öl und Getreide sehen wir, dass Russland und die Ukraine Exporteure sind. Von Öl, Kohle und Erdgas ganz zu schweigen. Die Slowakei schert bereits aus dem Anti-Russland-Verbund aus und erklärt öffentlich, dass sie sich Putins Gas-gegen-Rubel Erpressung beugen wird. Das ist nicht die Entscheidung eines Feiglings, das ist einfach nur eine klare und nüchterne Bestandsaufnahme mit einer logischen Handlung. Nun auch noch Ungarn, dass nicht nur an den Öl-, Gas- und Kernbrennstoff-Lieferungen festhält und diese notfalls auch in Rubel zahlt. Nein, Herr Orban trägt auch eine Verschärfung der Sanktionen nicht mit. Es sieht so aus, als ob die Reihen in Europa doch nicht so fest geschlossen sind. Natürlich könnte Deutschland ein sogenanntes Energieembargo durchführen und auf russisches Öl und Gas verzichten. Wir haben zwar keinen Plan B für so einen rigorosen Schritt, aber machbar wäre das. Es würde uns nur weitaus mehr schmerzen als Russland und dabei den Krieg nicht mal verkürzen. Abgesehen davon, dass es nichts am Zustand ändert, wäre es eher ein Signal, ein Ausdruck von Haltung. Pathetisch und sinnlos. Da müssten unsere Politiker abwägen, ob sie sich der Unterstützung der Bevölkerung so sicher sind, dass sie diesen Schritt wagen. Denn anders als in Russland kann eine gewählte Regierung durch unkluge Entscheidungen auch schnell wieder aus dem Amt gejagt werden.

Es maßen sich ja derzeit auch viele Leute an, sich über Putins Motivation und vor allem seine geistige Verfassung ein Urteil zu bilden. Psychologische Gutachten aus der Ferne, sozusagen. Diese Leute haben sich dann am 24. Februar entweder katastrophal geirrt oder sich im Nachhinein ganz dolle im Recht befunden. In beiden Fällen braucht mal also darauf nichts geben. Es hilft nämlich nicht weiter.

Und nun auch noch Butscha (und andere „befreite“ Ortschaften). Halte ich das für möglich? Durchaus. Was haben die Leute denn gedacht, was Krieg bedeutet? Halte ich die Meldungen und die Schilderungen für authentisch/real? Kommt es darauf an, für was ich sie halte? Was immer dort passiert ist – es existieren Mittel und Wege, das kriminalistisch nachzuweisen. Zur Beurteilung und vor allem zum Fortgang des Krieges ist es nicht wichtig, das hieb- und stichfest zu belegen. Es ist mir auch unmöglich. Hufeisenpläne (Jugoslawien) und getötete Babys in Brutkästen (Kuwait) sowie Massenvernichtungswaffen (Irak) haben mir ein gewisses Maß an Skepsis antrainiert. Nein, hilft den möglichen Opfern in Butscha nicht weiter.

Landtagswahl Sachsen Anhalt 2021 – Versuch einer Interpretation

Das war sie nun, die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 2021 und somit letzter Stimmungstest vor der Mutter aller Wahlen – der Bundestagswahl im September. 1.8 Millionen Wahlberechtigte und eine Wahlbeteiligung, die einer demokratischen Überzeugung spottet. Sollte der Ostbeauftragte mit seiner Kritik nicht sogar Recht gehabt haben?
Aber gehen wir die Ergebnisse der

CDU

Wie auch immer das Stimmenplus zustande kam: Respekt dafür. Leader of the Gang. Und das obwohl Maskendeals, Laschet und eine generelle #niewiederCDU Grundstimmung herrschten.
Größtenteils dürfte der Amtsbonus von Reiner „David“ Haselhoff und sein gepflegtes Image als treusorgender Landesvater für ein paar Prozentpunkte mehr gesorgt haben. Ich persönlich finde den Mann ja eher blass, aber bei CDU Wählern weiß man ja sowieso nie so genau, wie die ticken. Dazu ein unausgesprochener Konsens, dass die AfD kleingehalten werden muss, indem man der regierenden Partei seine Stimme gibt.
Wenn jetzt ein Angebot der Brunnenvergifter aus der AfD zwecks „bürgerlicher“ Koalition kommt, kann man aber mal austesten, was die angebliche Geschlossenheit der CDU und das Versprechen einer Brandmauer gegen die AfD wert ist. Gerade das sehen viele Haseloff Kollegen anders als ihr Chef.

AfD

Irgendwas um 20 Prozent reichte dann doch nicht für die Machtergreifung. Ist aber immer noch viel zu viel. Um sich nichts vorzumachen: Unter den 20 Prozent mögen einige Wutwähler dabei sein, aber Sachsen-Anhalt ist nicht nur Osten sondern spezieller Osten. Da wählt ein Großteil aus kackblauer Überzeugung, obwohl es angeblich das Land der Frühaufsteher ist. Mit Protest hat das dann nicht mehr viel zu tun.

Die Linke

Das einstige Alleinstellungsmerkmal der „Stimme des Ostens“ hat man an die, hört hört, AfD und CDU verloren. Das Spitzenpersonal reißt es nicht und die Partei sowie ihre Wähler sind in die Jahre gekommen. Nachwuchs ist nicht in Sicht und Henning-Wellsow ist bundesweit ohne Format. Aus eigener Kraft scheint es der Landesverband in Sachsen-Anhalt aber nicht zu schaffen.

SPD

Eine beängstigende Schrumpfung und am Ende steht das Schicksal einer Splitterpartei. Woran liegt es? Das wüssten die Genossen im Willy Brand Haus auch gern. Für eine Koalition dürften 8 Prozent reichen, aber das ist nichts, worauf man langfristig aufbauen kann. Die Genossen brauchen unbedingt wieder einen Markenkern, wollen sie in der Parteienlandschaft noch wahrgenommen werden.

FDP

Glückwunsch FDP. Wieder mal im Landtag vertreten. Wozu weiß allerdings auch niemand. Vor allem nach der Kemmerich-Nummer in Thüringen vor einem Jahr witzeln die Ersten schon, wann die FDP von CDU und AfD ein gewissen Angebot erhält.

B90 / Grüne

Ergebnis verbessert und dennoch „verloren“. Irgendwas um 6 Prozent kann nicht der Anspruch einer Partei sein, die in den bundesweiten Umfragen knapp auf Platz 2 liegt. Es ist eben der Osten und was auch immer sich die Grünen einreden (lassen): abgesehen von Berlin sind sie im ostdeutschen Land nur eine Randnotiz. Und Berlin ist nicht der Osten. Klima- und Umweltschutz ziehen hier nicht, den Kampf gegen Rechts verbindet man nicht mit den „Ökonazis“ und Baerbocks naives und unprofessionelles Auftreten in den letzten Wochen hat auf die Wählerstimmung abgefärbt.

Alles unter 5 Prozent

Die Basis und wie diese anderen Corona-Schwurbelfritzen alle heißen mögen, kamen nicht zum Zug. Wahrscheinlich hatten ihre angepeilten Wähler mit der Suche nach Impfterminen zu tun. NPD und andere nationale Sozialisten sind zwar weg vom Fenster, haben ihre Stimmen aber eben an die AfD abgegeben. Freie Wähler spielen eher auf kommunaler Ebene eine Rolle.

Und was heißt das nun?

Wenn man in den Bundeszentralen der großen Parteien nur wüsste, wie dieses Ergebnis einzuordnen ist …
Nichtsdestotrotz wird schon einmal gedeutelt und getönt, obwohl jeder weiß, dass sich Sachsen-Anhalt nicht als Blaupause eignet. Es hat sich nur wieder gezeigt, dass die Menschen dort eben – speziell sind (um das mal höflich zu formulieren).
Durch Pandemie und Lockdown sieht man ohnehin alles verschwommen und wie im Nebel. Es war schwer auszumachen, ob es überhaupt Themen gab, die die Menschen umtreiben und wenn ja, wie stark diese mit Parteien in Verbindung gebracht wurden. Schon dass man der CDU eine Kümmererrolle für Ostbelange zuschreibt, spricht verstörende Bände. Dachte man doch eher, das schwarze Personal kümmere sich hauptsächlich um einträgliche Maskendeals.
Kann sich Armin Laschet nun beruhigter fühlen, weil die CDU das Siegen nicht verlernt hat? Weil ein ähnlich farbloser Ministerpräsident wie er zur Integrationsfigur taugt?
Freut sich Herr Söder in Bayern für die Schwesterpartei?
Ist auch bei der Bundestagswahl ein vergleichbares Ergebnis für die AfD drin?
Ist der grüne Annalena Zug nun entgleist, wie Friedrich Merz (kann den bitte mal jemand abschalten?) frohlockte?
Dürfen die Freien Liberalen wieder träumen? Von geplatzten Koalitionsverhandlungen, weil man lieber wieder nicht regieren will?
Beißen sich die Linken in den Arsch, weil sie Sarah Wagenknecht hätten haben können, aber stattdessen Henning-Wellsow und Wissler auf Geisterfahrt schickten?

Fragen auf die es vielleicht in etwas mehr als 100 Tagen Antworten geben wird.

In epidemischen Zeiten

Leute, vor 20-25 Jahren habt ihr es entschieden: ausufernder Konsum basierend auf global dahingaloppierender Marktwirtschaft. Ungehemmter Austausch von Menschen und Material. Die persönliche Sinnsuche im indischen Jogi-Schrein und Schnorcheln am Roten Meer. Bio-Knoblauch aus China und Familienzusammenführungen in Lateinamerika. Es muss doch allen klar gewesen sein, dass das keine Einbahnstraße ist. Nur die Vorteile mitnehmen und die Nachteile ausklammern – das funktioniert eben nicht.
Wer sich bis zur Oberkannte Unterlippe diesem System verschrieben hat, fürchtet jetzt natürlich rigide Maßnahmen und kann daher auch keinen Quarantänen für ganze Städte, Reisebeschränkungen oder Absagen von Veranstaltungen zustimmen. Ich habe den Namen nicht mehr parat, aber der Chef eines Tourismuswirtschaftsverbandes hat angemahnt, dass doch bitte das Geschäft am Laufen gehalten werden soll. Ein paar Erkrankte und Tote dürften nicht das Wirtschaften gefährden. Was wäre erstmal los, wenn das Wirtschaftswachstum sich abschwächt oder sogar ins Negative verkehrt? Diese Denkweise ist gleichzeitig konsequent und bitter.
Herr Spahn sagt, sein Ministerium und er sehen keinen Sinn darin, ganze Städte abzuriegeln und das „öffentliche Leben lahmzulegen“. Dass die Chinesen durch genau dieses Vorgehen uns Zeit erkauft haben (die wir hätten besser nutzen können), wird nicht erwähnt oder wenn, dann in Abrede gestellt. Dabei geht es nur um eins: solange wie möglich das System am Laufen zu halten, Kapital und Waren umzusetzen. Noch schnell den letzten Euro mitnehmen. Wofür eigentlich? Der Autor Micky Beisenherz hat das in einem Twitter-Tweet sehr gut auf den Punkt gebracht. Solange in Deutschland keine Fußball-Bundesliga-Spiele abgesagt werden, herrscht hier der Normalfall. Absagen der Karnevalsveranstaltungen wie in Venedig? Niemals. Jetzt sucht man die 300 Teilnehmer einer Sitzung und deren x Kontakte, weil man ja nicht ahnen konnte, dass sich ein Virusträger auf dem Karneval herumtreibt. Lassen sie sich diese Begründung noch einmal durch den Kopf gehen.
Harald Schmidt hat nach dem 11. September 2001 gesagt, wie beruhigend es doch auch gewesen sei, dass diese ganze Medienmaschine nach dem Anschlag auf das World Trade Center (die Älteren erinnern sich) für zwei Wochen in die Zwangspause gegangen ist. Man könne aber auch nicht immer gleich zwei Wolkenkratzer dafür in Asche legen. Wie wahr, wie wahr.

Ganz ehrlich, etwaige Unterbrechungen von Lieferketten interessieren mich nur, wenn sie Lebenswichtiges betreffen. Beispielsweise Medikamente (da habe ich den Engpass schon erfahren dürfen, da die Wirkstoffe dafür in Zentralchina hergestellt werden). Ob darunter auch Autoteile oder Klamotten fallen, muss jeder mit seiner eigenen Prioritätenliste abklären. Wie verlautbart wurde, verzögert sich nun auch die Einführung des neuesten iphone Modells. Dass das eine Topmeldung ist, drückt den herrschenden Zeitgeist treffend aus.
Früher war Berlin (als es noch Frontstadt war) stolz auf seine „Senatsreserve“. Da wirkte noch die Berlinblockade 1948/49 nach. Fragen sie heute mal einen Logistikmanager über Lagerhaltung. Das ist schon seit Jahren nicht mehr „in“. Die ganzen Großlager von einst befinden sich heute auf Containerschiffen und in LKWs auf der Straße. Mittlerweile sind Desinfektionsmittel in deutschen Apotheken und Drogerien Mangelware, auf Amazon und Ebay tummeln sich die Kriegsgewinnler (so nannte man das früher) und rufen für Atemschutzmasken Wucherpreise auf. So sieht die „gute Vorbereitung“ in Deutschland aus. Es ist nicht so, dass die Verantwortlichen die Situation nicht kennen – es wird einfach nur gepokert und gehofft, dass man mit diesem Bluff oder der Selbsttäuschung irgendwie durchkommt. Bei den Chinesen wundert mich das nicht, insgesamt zählt da ein Menschenleben nicht viel. Die Ware Mensch ist im Überfluss vorhanden und problematisch wird es nur, wenn das Wirtschaftswachstum oder die Macht der Volkspartei in Gefahr gerät. Dass wir hier so offensichtliche Anzeichen derselben Vogel-Strauß-Taktik und Leck-mich-Mentalität erleben, überrascht mich zumindest in dem Maße ihrer Zurschaustellung.

Ich muss auch was gestehen: ich bin kein Experte in dem Bereich. allerhöchstens Hobby-Virologe und geschichtlich an dem Thema interessiert. Die Maßnahmen und Methoden, mit denen man jetzt auf die Epidemie – und es ist hier völlig unerheblich, ob man jetzt Pandemie sagen darf/sollte oder nicht – reagiert, wurden schon im ach so dunklen und rückständigen Mittelalter erfunden und erprobt. Das einzige Problem der damit befassten Menschen war ihr unzureichender Wissensstand über Viren und Übertragungswege an sich beziehungsweise ihre eingeschränkten Möglichkeiten des Machbaren. Schnelles Temperaturmessen durch einen massenhaft verfügbaren Scanner? Labortest durch Rachenabstrich? Mal eben das Rattenproblem in den Städten lösen? Unmöglich. Und dennoch haben sie die Zusammenhänge gesehen und mit Quarantänen, Isolierungen und Unterbrechungen der Handels- und Warenströme zu reagieren versucht. Seit 650 Jahren haben wir das Besteck an Maßnahmen nur graduell weiterentwickelt, nicht unbedingt strukturell. Vor allem nach SARS 2002/2003 hätte ich gedacht, dass wir weiter sind. Vor allem im Zusammenwirken über Ländergrenzen hinweg, wo wir doch die großartige EU haben. Während man hier irritiert ist, dass auch Italien zum Mittel der großflächigen Abschottung greift, begrüßt die WHO genau dieses Vorgehen. Während ein Bahn-ICE an der österreichischen Grenze aufgrund von Verdachtsfällen gestoppt wird, fährt der Flixbus munter weiter. Merke: auch Viren haben ihren Stolz und reisen nur per Zug.
In Singapur oder Japan klappt es doch auch. Vorbildliche Rundumversorgung und Information in Singapur, flexible Arbeitszeitenregelung in Japan. Und Deutschland? Zu schwerfällig, zu bürokratisch, einfach zu satt. Als die Chinesen zwei Spezialkrankenhäuser mit einer Bettenkapazität von 2.300 in nur wenigen Tagen errichteten, taten sich hier nur die üblichen Bedenkenträger hervor und fragten hämisch nach Umweltschutz, Baugenehmigung und Mindestlohn bzw. Sinnhaftigkeit einer solchen Virenbrutstätte. Als ob diese aus der Not geborenen Gebäude einem typischen chinesischen Klinikbau entsprechen würden. Dass in Wuhan einfach nur die Kacke am Dampfen war, für soviel Einsicht und Empathie reichte es in Deutschland nicht. Manchmal schämt man sich für diesen Haufen von degenerierten Dumpfbacken und Besserwissern hier.
Was hat man sich mokiert, als es nach dem verheerenden Hurrikan Katrina in New Orleans zu Plünderungen ein Einbrüchen kam. Typisch, dieser Neger. Wie planvoll und überlegt die heimische Bevölkerung handelt, sieht man ja in den Regalen der Lebensmitteldiscounter und Drogerien.

Und bitte, lasst dieses Politiker-Bashing. Wenn wir uns schon ehrlich miteinander machen, gehört auch diese Wahrheit dazu: jedes Land wird von den Politikern regiert, die es verdient (die 5 € klingeln gerade im Phrasenschwein). Außerdem sind sie nur das nach Außen sichtbare Symptom des Zustandes unserer Gesellschaft. Hattet ihr denn vor Corona und Co. ein Problem mit der Globalisierung? Habt ihr auch immer schön in die Armbeuge geniest und nach dem Klogang die Hände gewaschen? Bei den Streiks gegen Budgetkürzungen von Krankenhauspersonal und/oder Ärzten – wart ihr da auf der unterstützenden oder auf darüber schimpfenden Seite?

Work-Life-Balance und so

Noch keine Gesellschaft vor uns, zu keiner Zeit in der Geschichte der menschlichen Hochkultur war bis zum heutigen Tage so produktiv, so automatisiert und mit so vielen Erleichterungen für das Leben ausgestattet wie die, in der wir leben.

Und dennoch haben die Menschen in dieser Gesellschaft so wenig Zeit für sich selbst. Und dabei ist der Output an Stress und Verpflichtungen genauso hoch wie der Output an hergestellten Waren und Dienstleistungen.
Trotz des ganzen Fortschritts häufen Arbeitnehmer Überstunden um Überstunden an und können ihren Urlaub nur zu ganz bestimmten Zeitfenstern nehmen und das in Absprache mit ihren Kollegen. Das variiert natürlich je nach Berufsgruppe, aber die Tendenz ist bei allen so ziemlich gleich.

Das Erstaunliche ist: wenn dann mal wirklich etwas Zeit am Stück „über ist“, dann gibt es nicht wenige Menschen, die dann ein Gefühl der Langeweile fürchten und daraufhin diese Zeit in Hektik mit etwas zu füllen versuchen.

Mitleid mit der SPD

Ja, nach der Europawahl und den Kommunalwahlen empfinde ich Mitleid mit der SPD. Oder nennen wir es nicht Mitleid, sondern eher Enttäuschung und teilweise Entsetzen.
Enttäuschung, weil es nach Rezos Video eher die CDU/CSU massiv hätte treffen müssen und Entsetzen, weil ich im Falle des Ostens genau sehe, wohin die Wählerstimmen geflossen sind.

Machen wir uns keine falschen Hoffnungen, der Erfolg der Grünen ist eine Eintagsfliege und die Situation stellt sich (betrachtet man Europa und auch Deutschland differenzierter) doch ganz anders da, als der grüne Hype uns weismachen will. Oftmals wanderten die verlorenen SPD Wählerstimmen in das braun-blaue Lager von NPD und AfD, jedenfalls im Osten geht man da pragmatischer an die Sache heran. Da benötigt der Wähler keine Verrenkungen des Rückgrats, um gestern CDU, heute SPD und morgen AfD zu wählen.

Und nun wird wieder viel analysiert werden. Es wird Apelle geben. Man wird noch mehr „zusammenstehen müssen“, „besser kommunizieren“ und „das Profil schärfen“. Alles Sachen, die man schon nach der Bundestagswahl 2017 hatte erledigen wollen. Für mehr als eine Personalrochade hat es dann aber doch nicht gereicht.
Und dieses Mal soll nicht einmal das stattfinden. An vor allem zwei Personen kristallisiert sich jetzt die Kritik und die Wut der Parteigenossen: Andrea Nahles und Katarina Barley.
Ja, die Voraussetzungen für die SPD waren nicht wirklich gut, aber dieser einschläfernde Wahlkampf von „mehr ging nicht“ Barley war doch nicht nötig. Nun räumt die Dame ihren Ministerposten und geht als geprügelte Hündin nach Brüssel und nimmt einen Teil der Verantwortung für zweistelligen Prozentverlust mit sich.
Frau Nahles wird wohl oder übel einen ihrer Posten abgeben (müssen). Wenn sie schlau ist, wird das der unnütze Fraktionsvorsitz sein. Als Parteichefin hat sie immerhin noch ein wenig Gestaltungsspielraum, wenn sie denn wirklich nochmal Kanzlerin werden möchte (hüstel). Allerdings rücken bereits jetzt viele „Parteifreunde“ mit der Säge in der Hand an, um die ungeliebte und erfolglose Nahles loszuwerden. Kampflos wird sie ihren Stuhl allerdings nicht räumen, das hat sie schon durchblicken lassen, und wenn man ehrlich ist, wird sie sogar noch gebraucht. Landtagswahlen im Osten und damit weitere Schlappen stehen an und wer auch immer neu auf diesen Posten gewählt worden wäre, müsste gleich zu Beginn seiner Amtszeit 3 krachende Niederlagen verantworten. Dazu kommt die (ernüchternde) „Halbzeitbilanz“ im Wirken in der Großen Koalition, die man auf Seiten der Sozialdemokraten dafür nutzen könnte, entweder die GroKo platzen zu lassen oder schnell noch mit der durchgedrückten Grundrente und etwas Klimaschutz zu punkten. Jedenfalls, so sehr auch Kühnert und Co. giften werden (und wahrscheinlich irgendwo Recht haben): jetzt die GroKo zu verlassen und wieder mal das Führungspersonal auszutauschen und dann bei den Landtagswahlen so richtig baden zu gehen, das wäre einfach suboptimal.
Nahles abzulösen, dafür wäre beim Parteitag Endes des Jahres immer noch Zeit und Gelegenheit. Die Kandidaten könnten sich in Stellung bringen und Nahles die anstehenden Wahlniederlagen als eine Art Bad Bank für sich verbuchen. Und dann kommen Gestalten wie z.B. der Buchhändler aus Würselen zurück, womit wir endgültig beim Thema Mitleid wären.

Mir persönlich ist das Schicksal der angesprochenen Personen relativ egal, und auch ob es die alte Tante SPD nochmal schafft, sich auf ihren Markenkern zu konzentrieren oder an der „Strategiefähigkeit“ zu arbeiten (alles Bullshit Bingo) – aber wenn man sieht, durch was oder wen die verlassenen Altäre bevölkert werden, dann wünsche ich mir eine stabile und verlässliche SPD zurück. Das jetzt hat sich nicht verdient und die Konsequenzen daraus haben auch WIR nicht verdient.

„Die Zerstörung der Annegret Kramp Karrenbauer“

Dass ich mal ein indirektes Lob über Angela Merkel schreiben werde – wer hätte das gedacht?

So sehr ich den „Merkel muss weg“ Ruf mal verstehen konnte (den Ruf, nicht die die ihn rufen), so sehr hat mich die Frage umgetrieben: wenn Merkel mal weg ist, was kommt dann?

Nun wissen wir, wie der Plan in etwa aussehen sollte. Annegret Kramp Karrenbauer wurde erst in das Amt der Parteichefin gehievt, um dann in einem geräusch- und lautlosen Übergang Angela Merkel als Kanzlerin zu beerben.

Und jetzt, nach mißglückten Karnevalsscherzen, der desaströsen Europa- und den nicht berauschenden Kommunalwahlen, dem Rezo Video und dem damit verbundenen, beunruhigenden Vorstoß zur Beschneidung der Meinungsfreiheit kann man nur eines festhalten:

Angela Merkels Schuhe sind Annegret Kramp Karrenbauer zu groß, viel zu groß. Die Schuhe der Parteichefin ohnehin und die Schuhe als Kanzlerin erst recht.

AKK kann Partei nicht und sie kann Kanzlerin nicht.
Nicht, dass ich Merkel in ihrer Rolle als Regierungschefin groß vermissen würde (ihr willentlicher Mangel an politischer Gestaltung ist bei der aktuellen Problemlage einfach nicht vermittelbar), aber der Schock über das nachfolgende Personal sitzt einfach zu tief.
Durch das unglückliche Agieren von AKK in der kurzen Zeit seit ihrer Beförderung bemerken wir erst einmal, wie lautlos und unauffällig Merkel regiert. Durch die ganzen Jahre mit der „stillen Mutti“ ist in uns die Überzeugung gewachsen, dass das ganz normal wäre. Ist es aber offensichtlich nicht. AKK sieht keinen Grund, irgendetwas zu ändern – sehen die CDU Granden das genauso? Wer in dieser personelle ausgebluteten, ehemaligen Volkspartei sollte sie ersetzen? Friedrich Merz? Ursula von der Leyen? Jens Spahn??

Das ist eben auch die Tragik der Angela Merkel. So sehr sie zur Lichtgestalt und Heilsbringerin der Christdemokraten wurde, so sehr lichtete sich die zweite Reihe. Nach ihr kommt lange nichts. Entweder, weil sie alles weggebissen hat oder aufstrebende Talente in ihrer nun überlangen Regierungszeit versauerten.
Kramp Karrenbauer war handverlesen und der eindeutige Wunsch Merkels für ihre Nachfolge. Diese offensichtliche Nicht-Eignung AKKs kann Merkel nicht entgangen sein. Wenn doch, muss man sich fragen, wann ihr das Urteilsvermögen abhanden gekommen ist und wenn nicht, was für einen Grund gerade diese Personalentscheidung hatte. Wollte Angela Merkel ihrer Partei nachträglich eins reinwürgen? Hat der Verlust des Parteivorsitzes sie so sehr gekränkt, dass sie eine blasse Nachfolgerin installierte, um allen zu zeigen, was für einen Fehler sie mit ihrer Demontage machen?
Man wird es wohl nie herausfinden.
Allerdings wird sich wiederum die Zukunft der AKK bald entscheiden. Ihre internen Kritiker begehren immer lauter auf, sie hat gewisse Diskussionen in ihrer Partei nicht mehr im Griff (CO2 Steuer) und bei den kommenden Landtagswahlen im Osten droht die CDU von der AfD überholt zu werden. Und wie man so hört, sind die Wahlkämpfer vor Ort überhaupt nicht mit der fehlenden Unterstützung aus dem Konrad Adenauer Befehlsbunker einverstanden. Ein Putsch wird früher oder später wahrscheinlich.