Musikalische Schätze Teil 3: Carcass – Necroticism – Descanting the Insalubrious

Von allen weniger bekannten Bands, waren Carcass aus Liverpool eine der wichtigsten für die Entwicklung des Death Metal Ende der 1980er und frühen 1990er. Ich weiß, das werde ich noch bei vielen Bands auf diesem Blog sagen.

Neben Bands wie Napalm Death, Brutal Truth oder auch Terrorizer zählte die 1985 in Liverpool gegründete Band zu den Pionieren des Grindcore, aber ihr Werdegang sollte anders verlaufen. Ihr Beitrag zur Etablierung des Death Metal ist unbestritten und ist Anspieltipp für jeden Freund des gepflegten Tod-Metalles.

War Reek of Putrefaction noch ein reines Grindcore Album, hielten ab Simphonies of Sickness zusehends Death Metal Elemente Einzug. Mit ihrem 1992 veröffentlichten Longplayer Necroticism – Descanting the Insalubrious perfektionierten Carcass ihren Sound aus Melodic Death Metal mit Grindcore-Anleihen. Aufgrund seiner komplexen Gitarrenarbeit und anspruchsvollen Songstrukturen gilt dieses Album als Meilenstein in der Entwicklung des Death Metal.

Mein all time favourite von Carcass wird immer Necroticism – Descanting the Insalubrious sein.

Das Album zeigt Carcass auf dem Höhepunkt ihrer technischen Fähigkeiten und kreativen Vision. Es wird von der komplexen und abwechslungsreichen Gitarrenarbeit von Bill Steer und Michael Amott durchzogen. Man bekommt die Riffs nur so um die Ohren gehauen. Dazu Breaks, Tempowechsel, ab und an Rückfälle in den Grindcore. Man kann Elemente des Thrash Metal, Progressive Rock oder auch Jazz ausmachen. Die Texte behandeln weiterhin medizinische Themen wie Verfall, Zersetzung und Krankheit, sie sind aber tiefgründiger und poetischer als noch auf Simphony of Sickness oder sogar auf Reek of Putrefaction.
Auf diesem Album passiert mehr, als bei manchen Metalbands in ihrer gesamten Diskographie.

Das darauffolgende Heartwork gilt als ihr größter kommerzieller wie auch musikalischer Erfolg, markierte aber gleichzeitig den Niedergang der Band. Ich persönlich kann mit melodischem Death Metal nicht viel anfangen, obwohl sich auf dem hier vorgestellten Necroticism – Descanting the Insalubrious zahlreiche melodische Passagen befinden. Diese wirken aber eher groovy als krampfhaft herbeigeschrieben, wie das bei Heartwork der Fall ist.

Nach Heartwork folgte noch der Silberling Swanesong, welcher der Band aber kein Glück brachte. Aufgrund interner Spannungen lösten sich Carcass 1996 auf.

2007 starteten sie ein Comeback und veröffentlichten 2013 das Album „Surgical Steel„, das für seine Rückkehr zu den Wurzeln der Band gepriesen wurde, während es einige der melodischen Elemente, die sie auf „Heartwork“ erkundet hatten, integrierte.

Haben Carcass abgesehen von ihren Achtungserfolgen je den Underground verlassen? Ich glaube nicht wirklich, denn ihre Albumverkäufe lagen doch deutlich unter den damals bekannten großen Metalbands. Es gab einfach so viele gute Bands und wichtige Alben damals, dass die Leute heute nur die absoluten Top-Bands aus jedem Bereich kennen. Deshalb habe ich sie auch in diese Artikelserie mit aufgenommen. Nein, Carcass waren nie die ersten irgendwo. Sie haben keine Altars of Madness hervorgebracht und ich wage zu bezweifeln, dass eine ihrer Scheiben einen Platz unter den Top 5 auch nur irgendeiner Umfrage erreichen wird. Aber es lohnt sich dennoch, in ihrer Werk reinzuhören. Keines der Carcass-Alben ist richtig schlecht, aber jedes für sich sehr unterschiedlich. Die künstlerische Entwicklung der Band hat es mit sich gebracht, dass jeder Fan sein Lieblingsalbum (oder -alben) hat und andere Veröffentlichungen der Liverpooler geradezu ablehnt. Ich verstehe, dass die Grindcore-Schiene auf Dauer eine Sackgasse darstellte. Man kann nur unter Verwendung von Blast-Attacken und Screaming-Vocals keine große Abwechslung hervorbringen. Genauso birgt der melodische Death Metal die Gefahr, sich im seichten Mainstream zu verirren und die alten Fans gänzlich vor den Kopf zu stoßen.

Dieses Album inspirierte viele Bands und produzierte zahlreiche Carcass-Klone aber auch Musiker, die den Sound adaptierten oder weiterentwickelten.

Diese Fußball WM in Katar nervt mich schon jetzt

Was soll das?

Die Fußball Weltmeisterschaft 2022 in Katar nervt mich schon, bevor überhaupt die deutsche Nationalmanschaft ihr Auftaktspiel absolviert hat.

Mich nervt dieses späte Entdecken eines Gewissens bei großen Teilen deutscher Bedenkenträger. Wann ist diese WM vergeben worden? Vor 12, 13 Jahren? Man hatte also über ein Jahrzehnt Zeit, sich zu entscheiden, wie man mit dieser ungeliebten Entscheidung umgeht und ist heute keinen Schritt weiter?! Jeder betont, dass das ein sportliches Ereignis ist und nicht mit Politik vermischt werden soll – aber die größte Aufregung herrscht um Manuel Neuers Kapitänsbinde, die der Torwart gegen alle disziplinatorischen Widerstände hindurch präsentieren will. Wo erleben wir soviel Courage, wenn er der FC Bayern mal wieder in den Emiraten trainiert?
Ja, die Spieler selbst sollen in sich gehen und von sich aus boykottieren, damit wir anderen uns alle wohler fühlen. Entscheidungstransfer. Wäre ich ein Spitzenfußballer und der Bundestrainer hätte mich in die Riege der besten Spieler meines Landes berufen, ich wäre doch bescheuert, jetzt in den Sack zu hauen.

Dieser in der Theorie selten dämliche Zeitpunkt, um eine WM abzuhalten stellt sich auch in der Realität als absolute Spaßbremse heraus. Angesichts von -8 Grad gestern morgen dürstet es mich nach Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, aber nicht nach „Get Togethers“ in einer Fußballkneipe. Auf den Straßen jede Menge Eis und Schnee, aber keine Fanmeile oder Gartenparties. Wer hätte das im Winter gedacht. Jetzt muss eben die Südhalbkugel bzw. der arabische Raum die nordische Lustlosigkeit kompensieren.
Nein, wir wissen, dass die Entscheidung für Katar keine sportlichen Gründe hatte. Es wurde dort nicht einer überbordenden Freude am Fußball entsprochen. In den Hinterhöfen der Wolkenkratzer wird nicht mit Konservendosen gekickt und auch werden die Stadien bei den regulären Ligaspielen nicht ausverkauft. Wir haben es ja beim Auftaktspiel gesehen. Das bisschen Fanvolk aus Katar selbst hat noch in der ersten Halbzeit das Stadion verlassen. Ein staufreier Heimweg war dann doch wichtiger, als Wohl und Wehe des eigenen Teams. Wenn man jetzt aber den Einwohnern attestiert, dass sie ihr Vergnügen eher aus Pferde-, Kamelrennen und Falkenjagd ziehen, dann schlägt in Deutschland aber die Empörungsampel auf rot-grün um. Wahrscheinlich muss man sich jetzt noch ganz schlecht fühlen, weil der aus der Zeit gefallene Showdampfer Wetten Dass 4 Millionen Menschen mehr begeistern konnte, als die Begegnung Katar – Ekuador.

Ja mir tut das für die Spieler und den Fußball leid, dass die das ausbaden müssen, was einige wenige Sportgewinnler ausgekaspert haben. Der Komiker und Satiriker Oliver Kalkofe hatte Recht. Dank der FIFA müssen wir uns jetzt für oder gegen den Fußball entscheiden, obwohl wir uns eigentlich schon für den Fußball begeistern wollen. Und zu Infantino schreibe ich jetzt mal nichts.
Ich bin aber der Meinung, dass die Welt weniger Clowns braucht.

Leider hat mir das ganze Generve rund um die Fußball WM in Katar jedweden Restspaß am Turnier und die Energie genommen, mich für dieses Großereignis zu begeistern. Stand jetzt werde ich die Resultate einfach zur Kenntnis nehmen.

Musikalische Schätze: Thor

And the people called Manowar cheesy …

Der allmächtige Thor in Gestalt von Jon Mikl Thor und seinen Mannen wird für immer einen Platz in meinem Herzen haben. Diese kanadische Band sticht heraus und erfährt erst in den letzten Jahren die Anerkennung, die sie meines Erachtens nach seit langem verdient. Aber dafür gibt es ja auch diese Beitragsserie. Um Bands oder Alben zu besprechen, die vom Mainstream nicht genug gewürdigt werden.

Wenn wir von nicht ganz ernstzunehmendem True Metal der 80er Jahre sprechen, kommt man an der Band Thor nicht vorbei. Es handelt sich hierbei auch eher um eine Konzept-Band (wie später GWAR), ein Hobby-Vehikel des Bandgründers Jon Mikl Thors. JMT war ein Bodybuilder, der sich nach einer sehr erfolgreichen Karriere entschloss, Rockstar zu werden. Meiner Meinung nach ein absolut nachvollziehbares und legitimes Lebensziel. Und welches Bühnengimmick wählt man sich als Bodybuilder? Natürlich die Figur der nordischen Mythologie schlechthin: Thor, der Gott des Donners. Stilecht stand JMT dann auch auf der Bühne: blonde Wuschelmähne, nackter muskulöser Oberkörper, Lederteile mit Nieten und oft einen Hammer oder ein Schwert schwingend. Um das Strongman Image zu unterstützen, wurden bei Auftritten auf Eisenstangen mit den Zähnen verbogen oder Betonteile auf dem Bauch zerkloppt. Mein Gott, was hat man damals bei Konzerten alles geboten bekommen.

In annähernd dasselbe Genre fallen weitere, ja förmlich unzählige Bands aus dieser Zeit. Die wichtigsten und deutlich bekannteren Konkurrenten sind natürlich Manowar. Auch musikalisch waren die auf einem anderen Level unterwegs, selbst wenn sich Thor nicht zu verstecken brauchen und vor Manowar aktiv waren und das Konzept der archaischen Nordmänner ein paar Jahre eher auf die Bühne brachten. Und um ganz ehrlich zu sein: mit Manowar kann ich eher wenig anfangen, auch wenn sie hin und wieder ganz gute Arbeit abgeliefert haben. Aber diese Selbstüberschätzung und -beweihräucherung geht mir gehörig auf den Sack.
Erfinder des Viking- oder Pagan-Metal waren Thor dann aber auch nicht. Vielleicht nur das optisch beeindruckender Aushängeschild. Hier stehen für mich eindeutig Heavy Load in erster Reihe. Der zeitliche Vorsprung mag knapp sein, aber er ist nun mal da. Außerdem kam die Band aus Schweden (Heimvorteil) und übertrieb es im Gimmick nicht so sehr wie Thor. Jon Mikl Thor wurde aufgrund seines Bodybuilder-Backgrounds und des Image nie so richtig ernst genommen.

Zur Illustration des Vergleichs hier ein Heavy Load Song ihres Albums „Metal Conquest“ aus dem Jahre 1979:

Musikalisch und textlich befinden wir uns bei Heavy Load von Beginn an in dem, was später Viking Metal genannt werden soll.

Die ersten Thor Veröffentlichungen in den späten 70ern fielen noch in die Zeit des Proto-Metal, waren also eher rockig mit Glam-Rock Einsprengseln. Hier zwei Beispiele:

Diso-Thor …

Erinnert mich immer ein bisschen an Bands wie Sweet (no offense here).

Später wurde die Musik schon härter und bewegte sich immer mehr in Richtung Power- bzw. True Metal,wofür Thor bis heute bekannt sind und geliebt werden.

Aber bei den Göttern Wallhallas, was für großartige Videos haben Thor später gemacht! Kompromisslos billig und albern. Einfach nur witzig.

Auskopplung von „Unchained“ (?) 1983
Thor: Lightning Strikes von „Unchained“ 1983.

Ja, die Stimme und die Vocals. Natürlich sind wir hier nicht auf dem Niveau eines Bruce Dickinson oder Rob Halford. Aber mit den Jahren hat JMT dazugelernt und sich verbessert. Keine Passagen mehr gesungen, die nicht seiner Stimme und seinem Können entsprachen. Und ich habe definitiv Schlechteres gehört.
Auch die Produktion der Thor Alben bewegt sich nicht auf Premium-Niveau, aber wie auch für JMT Stimme gilt: habe schon Schlechteres aber dafür mehr Gehyptes gehört. Die Gitarrenarbeit ist gut bis sehr gut. Viele sägende Monsterriffs, auf denen der Sänger seine Stories transportiert. Drums und Bass solide. Dazu überzeugende Soli auf der Gitarre.

Man muss es sagen: Thor machen einfach Spaß (wenn man sie nicht zu ernst nimmt). Die Musik lässt sich gut hören und man denkt an keiner Stelle: Oh Gott, wie schlecht war das jetzt?

Thors Fall in die vergessene Zone wurde dadurch vorangetrieben, dass in den 1980ern eine Konkurrenz in ihrer Kategorie erwuchs, die oftmals einiges besser machte. Es ist aber nicht immer die bessere Qualität, die sich durchsetzt – in diesem Fall war es einfach die schiere Masse an Nachahmungstätern, die auf den Zug aufgesprungen sind. Spätestens ab Mitte der 1980er Jahre entwickelte sich auch der Heavy Metal weiter. Leder blieb zwar weiterhin in Mode, aber Felle nicht. Conan der Barbar, Texte über nordische Götter und Power Metal an sich waren nicht mehr so nachgefragt. Neue Musikstile, professionelle Videos und teurere Produktionen verdrängten Bands der ersten Stunde. Nur folgerichtig, dass sich Thor 1987 auflösten, um dann 10 Jahre später im Zuge der großen Retro- und Revival-Welle wieder zusammenfanden. Seitdem machen sie so weiter, als wäre es immer noch 1983. Der nackte Oberkörper ist aus ästhetischen und Altersgründen einer Phantasierüstung gewichen. Ich anerkenne es, wenn jemand seinen Stiefel durchzieht und seiner Sache treu bleibt – aber schon damals war diese Art von Heavy Metal mehr eine Kuriosität und nicht auf Langlebigkeit ausgelegt (gut, der Erfolg von Bands wie Sabaton scheint mich Lügen zu strafen), aber heute kann ich mich schwer damit anfreunden, dass Thor immer noch dieselbe Art von Musik (mit leichten Anpassungen) machen wie vor 35-40 Jahren und dazu dasselbe Image pflegen. Es fühlt sich an, wie ein Ripp-Off.

Meine Anspieltipps sind Alben wie Only the Strong (1985), Recruits, Wild In The Streets (1986) und die EP Unchained (1983) aus ihrer erfolgreichsten Phase. Aber auch ihr Debüt Keep the Dogs away (1977) hat seinen ganz eigenen Reiz und ist für Freunde des Glam-Rock eine musikalische Perle.

Es gibt auch eine Doku namens I am Thor aus dem Jahre 2015, die ich aber noch nicht gesehen habe. Wahrscheinlich wird daraus noch besser ersichtlich, worin die Faszination für die Band Thor bestand und bis heute besteht.

Bad Heat on the Brasserie Lorraine

Liebe Genossenschaft Restaurant Brasserie Lorraine in Bern. Manchmal ist es im Geschäftsleben wie im Professionell Wrestling. Und hin und wieder schießt man kapitale Böcke, im Wrestling wie im Leben.
Im Wrestling wird immer versucht Heat zu erzeugen. „To get heat on somebody“ bedeutet, dass einer oder mehrere der Akteure aus Publikumssicht mit Emotionen behaftet, quasi aufgeladen werden. Und weil Heat nie ein Selbstzweck ist, muss man genau wissen, wie sie sich auszahlen soll. Der Bösewicht soll noch böser rüberkommen, der Held noch strahlender. Wir unterscheiden dabei zwei Arten von Heat: positive heat und negative heat. Beide Arten stehen in Wechselwirkung miteinander, beide Arten von Heat werden unterschiedlich erzeugt und in Wert gesetzt und man muss sehr vorsichtig im Umgang sein. Vor allem mit der negative Heat. Wenn diese nicht richtig kanalisiert wird, schlägt sie unvorteilhaft als Backlash zurück. Jetzt werden Leute kommen und sagen, dass Heat erzeugen nichts anderes wäre, als Aufmerksamkeit erregen und jede Art von Aufmerksamkeit ist richtig und gern gesehen (any news is good news). Leider gilt das nur in einem auf Kurfristigkeit angelegten Geschäftsmodell und schon gar nicht für „Marken“. Die erholen sich von negativer Aufmerksamkeit unter Umständen überhaupt nicht und sind irreparabel beschädigt.

Jetzt hat die gute Brasserie Lorraine Bern mit dem Konzertabbruch der Mundart-Band lauwarm förmlich nuclear heat erzeugt. Was genau passiert ist und warum erfahrt ihr aus den Medien, das trete ich hier nicht noch einmal breit. Nur soviel: man hat wohl die Rechnung falsch aufgemacht, indem man glaubte, der erwartete moralische Gewinn übertrifft die Verluste (ein paar empörte Konzertbesucher) um ein Vielfaches. Jetzt hat man unglaublich viel negative heat an der falschen Stelle erzeugt und wird sie nicht mehr los. Im Wrestling wäre das jetzt die Stelle, wo der Bösewicht in Stellung gebracht wurde, sich zutiefst hinterhältig und schlecht benahm und nun … und nun der strahlende Held fehlt, der die Situation mit seiner positive heat auflöst. Zu dieser Auflösung ist es nicht mehr gekommen. Der Held (die Band lauwarm) ist als Verlierer aus dieser Konfrontation gegangen, im Ruf beschädigt und die Brasserie wird die negative heat nicht los. Das Publikum ist zwar mega engagiert, weil es nicht das serviert bekommen hat, was es sehen wollte – aber letztlich auch unzufrieden mit dem Ausgang. Normalerweise sollte sich heat für die Beteiligten auszahlen. In diesem Fall mit positiven Bewertungen und mehr Gästen der Beiz. Aber seit Tagen ist man dort damit beschäftigt, negative Google Bewertungen löschen zu lassen und sich mit widersprüchlichen Pressemitteilungen noch tiefer reinzureiten. Ob die Besucherzahl konform sinkt, kann ich nicht beurteilen, aber zumindest Musiker und Künstler werden es sich bestimmt zweimal überlegen, ob sie dort auftreten werden. Dafür, dass der Fall nun sogar international Schlagzeilen macht, kann sich die Brasserie in Bern nichts kaufen. Heat ist eben kein Selbstzweck.

Die Marke „Genossenschaft Brasserie Lorraine“ ist jetzt massiv beschädigt und eigentlich müsste jetzt die Führungsetage bzw. die Verantwortlichen zurücktreten. Im Wrestling wäre der Booker auch gefeuert worden und die Wrestler für eine Zeit ins dog house gesperrt. Solche verbockten Aktionen haben auch schon manche Karriere beendet. Hätte man jetzt einfach mal im Handbuch für Brand-Manager nachgeschlagen oder brain.exe benutzt, dann würde man sicher mit einem großen Sorry aufgewartet haben, um Vergebung bitten und den Shitstorm versuchen abzureiten, ohne über jedes Stöckchen zu springen. Passiert aber nicht. Nur löst sich negative heat nicht einfach auf, nur weil man sich das wünscht.

Gratulation, das diesjährige Sommerloch heißt Layla

Krieg in Europa (Ukraine), wirtschaftliche Verwerfungen sowie überlastete Gesundheitssysteme (nicht ausschließlich aber auch wegen Corona) und eine baldige Gas- und Energiekrise – aber die Menschen haben die Diskussion um einen Ballermann-Hit namens „Layla“ zum diesjährigen Sommerloch gekürt. So schlecht kann es uns also noch nicht gehen.

Jetzt wird herzhaft gestritten und argumentiert. Darf dieser Song gespielt werden, sollte man ihn verbieten? Ist er sexistisch, rassistisch, antisemitisch, whatever? Geht jetzt die Hochkultur vor die Hunde? Und was ist überhaupt mit der Spider Murphy Gang, wo sich die Nutten die Füße plattstanden und jeder heute noch Rosis Nummer kennt (Datenschutz, irgendwer?).

Mir ist klar, dass in Krisenzeiten alles ein wenig anders funktioniert und die Leute nach banalen Aufregern suchen, um nicht täglich mit der Realität konfrontiert zu werden – aber so ein selten dämliches Thema, um das Sommerloch zu stopfen, hatten wir selten. Ich meine, es ist ja nicht einmal ein Sommerloch vorhanden, Themen gäbe es genug, die uns unter den Fingernägeln brennen sollten (siehe Eingangsparagraph). Es ist nicht so sehr das Vorhandensein eines Sommerlochs überhaupt; es ist nur diese unglaubliche Diskrepanz zwischen dem eigentlich Wichtigen und der dämlichen Layla-Debatte. Nur zur Erinnerung: es fühlte sich sogar der Bundesjustizminister berufen, einen Kommentar abzugeben.

Und nein, ich kann auch Eric Claptons „Layla“ nicht mehr hören.

Lasst doch die Leute hören, was sie wollen. Es sei denn, es verstößt gegen das Gesetz. Ansonsten gilt die Kunstfreiheit.

Ein Nachruf, den ich so nie schreiben wollte

Normalerweise veröffentliche ich hier nur halbwegs seriöse Inhalte und hätte nie gedacht, mal eine Art Nachruf zu schreiben.

Wobei, eigentlich finde ich Nachrufe ja nicht so prickelnd. Man hat immer das Gefühl, dass Nachrufe nie den richtigen Ton treffen und die darin geschilderten Aktivitäten zwischen banal und hochtrabend schwanken.

Also fasse ich mich hier kurz.

Ich habe auch noch gar nicht richtig realisiert, was passiert ist.
Ich weiß zwar, was geschehen ist – ich habe es zum Teil aus den lokalen Nachrichten erfahren – aber es ist noch nicht oben angekommen. Ich weiß auch, dass ab jetzt nie wieder (vorzugsweise) am Sonntag das Telefon klingeln wird und ich nicht mehr mit meiner Oma über Gott und die Welt sprechen werde. Ich werde wohl dennoch jeden Sonntag auf ein Klingeln warten oder den Mail-Account auf Nachrichten prüfen – und ich werde bitter enttäuscht werden. Und zwar jedes Mal, wenn wider besseren Wissens in mir die Erwartung wächst und mir das Unbewusste einen grausamen Streich spielt. Ein Beispiel: kurz nach der tragischen Nachricht lag eine ihrer geliebt kitschigen Oster-Postkarten im Briefkasten. Lebendig abgeschickt, nach dem Sterben angekommen. Ein Totengruß. Das war wirklich hart.

Alles nur, weil es einen absolut unnötigen und grausam verlaufenen „Unfall“ gab (die Polizeibehörden ermitteln noch, weshalb ich hier nicht alles im Detail schreibe, um die Klage nicht zu gefährden). Ja, wir alle wünschen uns, bei bester Gesundheit mit 120 Jahren im Kreise der Lieben einzuschlafen. Aber das ist eben nicht immer so. Nur, diese Art von Tod hat sie nicht „verdient“. Wie immer man verdienen auch definieren mag. Genugtuung, wenn die Schuldigen verurteilt werden? Am Ergebnis ändert es nichts. Es würde mich nur deprimieren, wenn sie davonkämen – aber vielleicht wird auch genau das passieren.

Da sie ca. 8.000 km weit weg wohnt, habe ich es nicht rechtzeitig zum „Service“ geschafft. Und auch vorher hätte ich definitiv wieder einen Besuch dort einrichten können. Habe ich nicht gemacht. Ich bin oft genug gebeten worden und ich habe es aus diesen und anderen Gründen nicht getan. Dann kam Corona und danach wäre ich vielleicht Schritt für Schritt bereit gewesen. Seit Jahren hat sich in meinem Innern die Gewissheit verfestigt, dass mir dies irgendwann auf die Füsse fällt. Nun ist es früher gekommen als gedacht und jetzt muss ich damit leben.

Und ich kann auch nur hoffen, dass sie trotz ihrer stets nach Außen getragenen Weigerung, über die Vergangenheit zu sprechen, im Heimlichen ein paar Notizen gemacht hat, mit denen wir die vielen Leerstellen in unserer holprigen und brüchigen Familiengeschichte füllen können.
Nun liegt sie auf einem Militärfriedhof im Niemandsland (fragt nicht). Und wenn der Witwer demnächst fortzieht (was er aufgrund des Alters und Verfasstheit tun wird), dann ist niemand mehr vor Ort, der mal zu diesem Grab geht, davor stehenbleibt und vielleicht nachdenkt, was für ein Mensch hier liegt. Das zu wissen stimmt mich traurig. Wie mich die ganze Sache sehr sehr müde und abgeschlagen zurücklässt.

Ukraine-Russland – viel Meinung, wenig Ahnung

Ich wollte eigentlich gar nicht so viel über die Ukraine und den Krieg dort schreiben. Einfach aus dem Grund, da ich nur Beobachter bin und bei den wenigen halbwegs seriös anmutenden Informationen aus der Ukraine und Russland nicht beurteilen kann, wie belastbar und vertrauenswürdig sie sind. Alles erschließt sich nur über historische Vergleiche und Auswertung von Fakten.

Viele reagieren jetzt mit Häme über das langsame Vorankommen der russischen Armee oder sprechen von einem Fiasko, Debakel, Desaster – ohne die nötige Expertise oder einen Einblick ins Geschehen zu besitzen. Ja, im Krieg können unvorhergesehene Dinge geschehen. Dinge und Ereignisse, die nicht alles, aber vieles ändern können. Solche Dinge kann man nicht vorhersehen und im Nachhinein haben aber alle gewusst, dass es nur so kommen konnte. Es gibt viel Meinung, bei wenig Wissen und Ahnung.

Bei richtiger Führung, klarem (machbaren!) Auftrag und entsprechender Planung würden wir heute längst die Ausgestaltung der ukrainischen Kapitulation besprechen. Es ist auch nicht gesagt, dass wir das in ein paar Wochen nicht auch tatsächlich tun werden. Es schwebt ja immer der 9. Mai als Deadline im Raum.
Russland hat immer noch alle Möglichkeiten, seine wie auch immer gesetzten Ziele zu erreichen. In Kiew spricht man stolz von „Rückeroberungen“, dabei rücken die ukrainischen Soldaten nur in die Orte und Gebiete nach, die die russische Armee zuvor aufgegeben hat. Nicht im Kampf verloren, sondern aufgegeben. Der Rückzug über die russische oder weißrussische Grenze erfolgt nur zum Zweck der Wiederaufstellung zerschlagener Einheiten, der Auffüllung mit Treibstoff, Munition und Gerät oder Umgruppierung zur Schwerpunktsetzung im Südosten. Der ukrainischen Armee kann man Beharrlichkeit, Widerstandswillen und auch geschicktes Taktieren attestieren, aber sie hat derzeit keine Chance, den Aggressor aktiv vom eigenen Territorium zu vertreiben. Eine Kriegspartei, die nur in der Defensive steht, kann auf Dauer einen Konflikt nicht gewinnen. Das sollte man immer im Hinterkopf behalten, aller Propaganda zum Trotz.

Heute, 6 Wochen nach Kriegsbeginn, zeichnet sich uns ein Bild, in dem Putins Soldaten tatsächlich einen Blitzkrieg gegen Kiew führen sollten. Die vielen Angriffskeile, die die Masse des ukrainischen Heeres binden sollten, der extra über das verseuchte Gelände von Tschernobyl vorgetragene Vorstoß (um Zeit zu sparen) auf Kiew, der Kampf um den Flugplatz Hostomel mit Spetznaz Einheiten – das alles weist auf einen versuchten Enthauptungsschlag der militärischen und politischen Führung des Landes hin. Offensichtlich hat man sich im Kreml aber in vielen Dingen katastrophal geirrt. Wer da jetzt wen falsch informiert hat (oder es noch immer tut) – alle spekulieren, keiner weiß es. Wer wurde vom Oberbefehlshaber Putin unter Hausarrest gestellt, gefeuert oder auch nur kaltgestellt? Das Agieren des russischen Militärs in den ersten Tagen des Krieges, macht jedenfalls nur unter der Annahme einen Sinn, dass die ukrainische Bevölkerung die russischen Soldaten als Befreier willkommen heißt und die ukrainischen Militärs keinen Finger rühren werden. Und nein, für so dumm sollte niemand die russische Armee halten, dass sie ohne Aufklärung, ohne begleitende Infanterie, ohne Verbund der Streitkräfte aus der Luft ihre Panzerkolonnen ungeschützt durch „Feindesland“ fahren lässt. Sie haben oft genug bewiesen, dass sie zu einer modernen Kriegsführung im Waffenverbund fähig sind. Sie haben das Material und eigentlich auch das Personal und die größeren Ressourcen. Wer sagt uns, dass sie bei den nächsten Offensiven im Donbass und Südosten – die definitiv erfolgen werden – nicht aus ihren Fehlern gelernt haben und taktisch anders vorgehen? Es ist mitnichten so, dass man von einem generellen Versagen sprechen kann und es sich bei den Invasionstruppen im zerschlagene Bataillone handelt, wie ich es kürzlich mit einem Anflug von Fremdscham in einer großen deutschen Zeitung lesen musste.

Wir unterschätzen die Opferbereitschaft der russischen Soldaten, und vor allem der russischen Gesellschaft. Wir reden uns gern ein, dass es da zwei Russlands gibt – einmal das böse Regime kriegslüsterner Despoten und dann das friedliebende, zivilgesellschaftliche Russland. Das aktuelle Meinungsbild vom Meinungsinstitut Levana sagt da etwas anderes. Es ist eine einzige Gesellschaft, die zwar unterschiedliche Facetten zeigt, aber im Kern geschlossen hinter ihrer Führung steht. Ja da kann man mit dem Finger auf die böse Putin-Propaganda zeigen und sich einreden, dass das russische Volk es ja nicht besser wissen konnte – aber ich fürchte, das passt einfach nur zu gut in unser Narrativ. Wladimir Putin ist es egal, wieviele Flugzeuge, Panzer und Soldaten seine Armee verliert. Auch der wohl rechtswidrige (?) Einsatz Wehrpflichtiger regt ihn nur insofern auf, als dass man ihn über diesen Fakt nicht informiert hat. Das ist alles „Verbrauchsmaterial“ auf dem Weg zum Ziel. Und dieses Ziel ist durchaus noch erreichbar. So sieht er das. So sehen seine Vertrauten das. Seine Einheiten arbeiten sich Stück für Stück voran, die Raketen und Bomben zerstören Stück für Stück die ukrainische Infrastruktur und Wehrhaftigkeit. Fällt Mykolajew, fällt Odessa. Fällt Dnipro, fällt Kiew. Fallen Kiew und Odessa, fällt Lwiw und die Westukraine.

Würde die Einsatzgruppe im Westen Weißrusslands auch noch eingreifen und von Brest in Richtung Süden vorstoßen, wären auch die Nachschublieferungen der westlichen Europäer mit einem Mal beendet. Der Grund, warum diese Einheiten nicht schon längst aktiv geworden sind, ist unklar. Möchte man die Nato-Anrainer nicht provozieren? Ist der Nachschub sogar vernachlässigbar, weil die Raketen und Marschflugkörper mehr zerstören, als geliefert werden kann? Ist es, weil dieser Vorstoß nur im Verbund mit den weissrussischen Streitkräften des Alexander Luschenko durchführbar wäre? Der letzte Diktator Europas hält sich bisher immer noch zurück und hofft wieder einmal mit seiner Schaukeltaktik durchzukommen. Gegen die Nutzung seines Landes als Aufmarsch- und Versorgungsgebiet der russischen Armee kann er nichts unternehmen, er ist Putin wegen 2020 noch eine ganze Menge schuldig. Aber der Krieg in der Ukraine ist bei der weissrussischen Bevölkerung unpopulär Genauso unpopulär ist er in Teilen der Armee. Angeblich ist sogar der Generalstabschef Viktor Gulevich zurückgetreten, weil Teile der Armee und des Offizierskorps mit offener Rebellion gedroht hätten. Das wäre schon starker Tobak, lässt sich aber wie vieles nicht verifizieren. Auch die Sabotageakte gegen die belarussischen Eisenbahn sind womöglich eher Nadelstiche als entscheidend, aber zumindest sind sie ein Hoffnungsschimmer, dass die Weissrussen sich nicht komplett vereinnahmen lassen.

Ach ja, das mit den Sanktionen. Mir kommt es so vor, als ob diese Sanktionen eher ein Mittel sind, um den moralischen Kompass des Westens einzunorden. Diese Sanktionen werden den Krieg nicht beenden und ihn auch nicht verkürzen. Sie werden auchn Putin nicht stürzen, egal was westliche Lautsprecher sich erträumen. Die russische Militärmaschinerie ist auf Kooperation mit dem Westen nicht angewiesen. Ihr gehen keine Ressourcen aus. Herr Putin muss nichts importieren, um Panzer, Bomben oder Flugzeuge zu bauen. Öl für Treibstoff hat er genug. Auch wird in Russland niemand verhungern, weil plötzlich McDonalds keine Quetschbulette mehr verkauft. Bei Öl und Getreide sehen wir, dass Russland und die Ukraine Exporteure sind. Von Öl, Kohle und Erdgas ganz zu schweigen. Die Slowakei schert bereits aus dem Anti-Russland-Verbund aus und erklärt öffentlich, dass sie sich Putins Gas-gegen-Rubel Erpressung beugen wird. Das ist nicht die Entscheidung eines Feiglings, das ist einfach nur eine klare und nüchterne Bestandsaufnahme mit einer logischen Handlung. Nun auch noch Ungarn, dass nicht nur an den Öl-, Gas- und Kernbrennstoff-Lieferungen festhält und diese notfalls auch in Rubel zahlt. Nein, Herr Orban trägt auch eine Verschärfung der Sanktionen nicht mit. Es sieht so aus, als ob die Reihen in Europa doch nicht so fest geschlossen sind. Natürlich könnte Deutschland ein sogenanntes Energieembargo durchführen und auf russisches Öl und Gas verzichten. Wir haben zwar keinen Plan B für so einen rigorosen Schritt, aber machbar wäre das. Es würde uns nur weitaus mehr schmerzen als Russland und dabei den Krieg nicht mal verkürzen. Abgesehen davon, dass es nichts am Zustand ändert, wäre es eher ein Signal, ein Ausdruck von Haltung. Pathetisch und sinnlos. Da müssten unsere Politiker abwägen, ob sie sich der Unterstützung der Bevölkerung so sicher sind, dass sie diesen Schritt wagen. Denn anders als in Russland kann eine gewählte Regierung durch unkluge Entscheidungen auch schnell wieder aus dem Amt gejagt werden.

Es maßen sich ja derzeit auch viele Leute an, sich über Putins Motivation und vor allem seine geistige Verfassung ein Urteil zu bilden. Psychologische Gutachten aus der Ferne, sozusagen. Diese Leute haben sich dann am 24. Februar entweder katastrophal geirrt oder sich im Nachhinein ganz dolle im Recht befunden. In beiden Fällen braucht mal also darauf nichts geben. Es hilft nämlich nicht weiter.

Und nun auch noch Butscha (und andere „befreite“ Ortschaften). Halte ich das für möglich? Durchaus. Was haben die Leute denn gedacht, was Krieg bedeutet? Halte ich die Meldungen und die Schilderungen für authentisch/real? Kommt es darauf an, für was ich sie halte? Was immer dort passiert ist – es existieren Mittel und Wege, das kriminalistisch nachzuweisen. Zur Beurteilung und vor allem zum Fortgang des Krieges ist es nicht wichtig, das hieb- und stichfest zu belegen. Es ist mir auch unmöglich. Hufeisenpläne (Jugoslawien) und getötete Babys in Brutkästen (Kuwait) sowie Massenvernichtungswaffen (Irak) haben mir ein gewisses Maß an Skepsis antrainiert. Nein, hilft den möglichen Opfern in Butscha nicht weiter.

Ukraine – ich muss das jetzt sagen

Die Ukrainer haben aufopferungsvoll gegen eine militärische Übermacht gekämpft. Weitaus mehr als man ihnen zugetraut hätte. Aber man muss auch akzeptieren, wenn der Kampf verloren ist. Daran ändern auch ein paar alte MiGs nichts mehr, die man per Verschiebebahnhof in das Kriegsgebiet bringen möchte. Das hätte alles früher passieren müssen, wenn man es denn gewollt hätte.
Putin kann sich nur selbst stoppen. Oder er wird durch eine Palastrevolte gestoppt. Das ist aber unwahrscheinlich, wenn man die Horde von gleichgeschalteten Apparatschicks in seinem Umfeld sieht. Auf die Oligarchen braucht man nichts geben. Sie walten nur von Putins Gnaden. Wird einer aufmüpfig, landet er im Lager oder stirbt unerwartet an einer Vergiftung. Und wenn einer dann nur noch 20 statt 40 Milliarden auf dem Konto hat, lässt es sich damit auch noch gut leben. Die russischen Mütter? Wo in 100 Jahren Sowjetregime mit Millionen Toten (ja, auch ohne Deutschland als Urheber) haben denn russische Mütter auch nur irgendwas bewirkt? Wenn es hart auf hart kam, haben diese Mütter schon immer ihre Söhne für die Verteidigung von Mütterchen Russland hergegeben. Nicht selten mit Stolz.
Wirtschaftliche Sanktionen? Wen sie wirklich treffen, sehen wir gerade. Und in Peking kommt man aus dem Lachen nicht heraus. Es ist auch kein Zufall, dass sich zum Beispiel Indien der Stimme enthalten hat. Abschieberitis von russischen (Putin-nahen) Künstlern und Beenden zweifelhafter Sponsorenverträge – irgendwo verständlich, aber auch nur ein symbolischer Akt und Ausdruck einer unausgesprochenen Ohnmacht.

Es wird Zeit zu realisieren, dass wir in Europa und speziell in Deutschland nicht mehr am längeren Hebel sitzen. Das ist eine schmerzhafte Erkenntnis, aber sie ist offenbar notwendig. Ich bin gespannt, was wir daraus machen werden und wohin das führt.

Ja die Ukraine ist verloren und ja, das hätte alles nicht sein müssen. Kein Zivilist welchen Geschlechts und welchen Alters sollte das durchmachen. Vor allem nicht im Jahr 2022 im ach so befriedeten Europa (ja, Europa reicht bis zum Ural). Aber es ist jetzt so und wir haben keine Antworten.
Wir können nicht einmal verhandeln, denn wir haben nichts, was Putin nicht ohnehin in den Schoss fällt oder für ihn überhaupt von Interesse ist. Von daher schön, dass er ab und zu mit Macron telefoniert, um seinen Spaß zu haben, aber etwas Zählbares kommt dabei nicht heraus.
Aber der Mehrheit hier ist nun mal das Hemd näher als die Hose. Die Solidarität mit der Ukraine fällt in dem Maße wie die Spritpreise steigen. Ein zerbombtes Europa? Nicht für Kiew.
Ja, kann sein, dass diese Konfrontation ohnehin kommen wird, aber dann hätten wir jetzt wenigstens die Zeit, um uns darauf vorzubereiten. Ich bezweifle aber, dass gutes Geld in Form von 100 Mrd Euro Sonderinvestition (wo man die wohl gefunden hat?) auf die Bundeswehr geworfen, eine zielführende Maßnahme ist – auch wenn ich immer für eine starke Armee plädiert habe. Die ganzen Berater noch aus der Zeit von Frau v.d. Leyen werden sich freuen. Neue sinnlos-Projekte und Waffensysteme, die in so einem Konflikt nichts taugen. Und überhaupt, kein Panzer und keine Rakete werden gegen den Klimawandel oder auch die Vorherrschaft Chinas etwas ausrichten.

Afghanistan – Wasted Years

Nach dem Fall von Kabul – oder sollte man sagen, „friedlichen Übergabe“ – dürfte nun auch dem letzten Träumer klargeworden sein: Ein großes Scheitern fand seinen vorläufigen Abschluss. Oder auch Höhepunkt, denn die Geschichte ist noch lange nicht vorbei.

Afghanistan ist ein failed state, obwohl es ein staatsmäßig organisiertes und vor allem funktionierendes „Afghanistan“ nach westlichen Vorstellungen nie gab. Letzten Endes ist es eine patriarchalische Stammesgesellschaft, selbst wenn die Gotteskrieger modernste Waffen tragen und mit mobile phones und tablets arbeiten.

Die Übernahme der Macht durch die Taliban kam mit Ansage, nur das Tempo war dann doch überraschend. Eine Bevölkerung von 38 Millionen Einwohnern, eine von der NATO ausgerüstete und ausgebildete Armee von 300.000 Mann (was nach neuesten Erkenntnissen auch nur eine weit übertriebene Zahl ist), zahlreiche Polizeikräfte usw. und dann kommt eine 80.000 Mann starke Fundamentalistentruppe und übernimmt handstreichartig den Staat. Zu glauben, dass so etwas ohne breiten Rückhalt in der Bevölkerung funktionieren kann, ist naiv und töricht. Viele Afghanen werden die Lügen, die Korruption und falschen Versprechungen einfach satt gehabt und sich den Kräften zugewandt haben, von denen der jüngere Anteil der Bevölkerung nur noch über das Hören-Sagen Kenntnis hat. Und wie verklärend das Hören-Sagen ist, wissen wir selbst nur zu gut.

Als Peter Scholl Latour noch lebte hielt er selten mit seiner Meinung zu Afghanistan hinterm Berg: „Solange wir Deutschen dort noch gut angesehen sind, große Truppenparade und dann raus da. Nation Building dort ist nicht unsere Aufgabe und ist auch zum Scheitern verurteilt.“ Das ist jetzt auch schon mehr als 10 Jahre her. Zehn Jahre andauernde Verschwendung wider besseren Wissens.
Ich möchte da nicht einmal über die Posse der „Rettungsaktion Evakuierung“ spotten, die erst am Montag starten konnte, weil … naja … Wochenende und so – es fügt sich einfach konsequent in das Gesamtbild ein, was wir dort hinterlassen haben. Es wird für Heiko Maas und Horst Seehofer Zeit zu gehen, auch wenn sie das große Scheitern am Hindukusch nur übernommen haben. Aber ihr Agieren ist höchst unglücklich und letztlich auch schäbig. Möglicherweise ist es jetzt auch einfach nur müßig, auf Politiker einzuschlagen, die ohnehin nach der Bundestagswahl arbeitslos sein werden.
Ach, wer jetzt glaubt, dass nun Tausende Helfer und Helfershelfer (die Begriffsschöpfung „Ortskräfte“ erfolgte ja sehr rasch) der Bundeswehr und anderer staatlicher Stellen nach Deutschland ausgeflogen werden: dafür wäre die letzten Wochen und Monate Zeit gewesen. Wenn man gewollt hätte. Aber hier drängt sich förmlich der Verdacht politischen Kalküls auf. Jetzt werden maximal deutsche Staatsangehörige und engste Mitarbeiter ausgeflogen. Selbst die müssen taktisch so schlau gehandelt haben, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt auf oder am Flughafen Kabul befinden. Wer nicht auf dem Rollfeld ist, wird nicht mehr ausgeflogen. Es sei denn, die Taliban – die nun Kabul kontrollieren – haben ein Interesse daran oder geben ihr okay. Wenn man sich durch die Meinungsäußerungen vornehmlich linker Politiker und Agitatoren arbeitet, zeichnet sich die Forderung nach der Aufnahme aller Afghanen ab, die durch die Taliban-Herrschaft bedroht sein werden oder könnten. Wie stellen sich die ganzen „Gutmenschen“ das überhaupt vor? Nach welchen Kriterien soll die Auswahl erfolgen? Die verschiedenen Bundesministerien geben ja selbst bei den Ortskräften zu, dass sie keine vollumfänglichen Informationen besitzen, wer mal alles für sie gearbeitet hat. Fahren dann Busse durch mittlerweile Feindesland (die Taliban haben den Abzug sämtlicher bewaffneter Soldaten fremder Nationen gefordert) und sammeln Leute ein, die dann zum Kabuler Flughafen gebracht werden?

Jemand auf Twitter stellte die ernstgemeinte Frage, wie man abgesehen von Demonstrationen, Tweets und offenen Briefen auf die Situation reagieren kann. Nun, ein Weg der selten beschritten wird aber deshalb nicht weniger hilfreich ist, wäre die Auseinandersetzung mit der eigenen Ohnmacht. Eine Akzeptanz dafür entwickeln, dass Dinge einfach schieflaufen, dass man verlieren kann. Einen Umgang für banale Dinge finden. So „banale“ Dinge wie Verlust und Niederlage. Und eigenes Fehlverhalten.
Denn jetzt beginnt man wieder in alte Muster und Strukturen zu verfallen. Sollten wir doch nochmal militärisch …? Alles ausfliegen? Drohende Appelle an die Koranschüler richten und sie dann boykottieren, bis wir eine Sprachregelung gefunden haben?
Nein, wenn Schluss ist, ist Schluss. Ein Verbleiben der Bundeswehr nach Abzug der Amerikaner wäre Selbstmord gewesen. Ich kann die Haltung der USA zu Afghanistan verstehen. Ein Staat, der nach einer Generation nur durch Truppenpräsenz am Leben gehalten werden kann, lohnt den Aufwand nicht. Ja, man hat ordentlich Geld und Material reingepumpt (was sich nun die neuen Machthaber unter den Nagel gerissen haben) und sicherlich hier und dort richtige Entwicklungen angestoßen. Oder zumindest solche, die man der eigenen Gesellschaft zur Rechtfertigung des eigenen Tuns vorweisen konnte. Aber am Hindukusch Mädchenschulen zu bauen und Frauen ein Studium zu ermöglichen (so ehrenvoll das sein mag) war nicht unsere Aufgabe. Demokratie, westliche Werte und Verankerung in der Weltgemeinschaft – das sind Dinge, die von Innen kommen müssen. Wenn sie denn überhaupt gewollt sind.

Und da kommen wir zu einem Punkt, über den man unbedingt Tacheles reden muss, bevor man sich in das nächste Abenteuer stürzt: Selbstbetrug und ein nicht klar definierter Auftrag. Selbstbetrug, weil wir regionale Warlords unterstützt und ein korruptes Regime in Kabul unterstützt haben und es nicht sehen wollten. Und als das Geld und die Unterstützung ausblieben, sind genau diese Leute mit wehenden Fahnen zu den Taliban übergelaufen. Dass die Unterstützung und vor allem Sympathie für die Taliban in Afghanistan viel größer ist, als hier behauptet – ist zwar öfter mal angeklungen, wird hier aber immer selbst jetzt noch umgedeutet oder verschwiegen. Dass im ganzen Land und darüber hinaus gejubelt wird? Passiert nicht, sagen die unentwegten Verteidiger der Mission Befriedung.

Der Selbstbetrug setzt sich fort, denn schon Clausewitz wusste: Nichts ist schwerer als der Rückzug aus einer unhaltbaren Position. Und das schließt geistige Postionen mit ein.

Die Wischi-Waschi Zielsetzung des Mandates hat Menschleben gekostet und viele Ressourcen. Vor 20 Jahren ging es einmal darum, Osama Bin Laden zu finden und lokale Al Kaida Strukturen zu zerstören. Das wäre ein klar formulierter und zeitlich begrenzter Auftrag gewesen. Nun hat man feststellen müssen, dass die Situation vor Ort reichlich komplex ist und noch andere Akteure beteiligt sind (Iran, Pakistan und neuerdings China). Aus einer militärischen Vergeltungsaktion wurde die Besetzung eines ganzen Landes und das vorhin erwähnte Nation Building. Beides muss man unter „versucht“ abbuchen, denn abgesehen von den Feldlagern und Festungen hat man keine Kontrolle ausgeübt und die afghanische Republik hatte ja eine außerordentlich kurze Halbwertszeit. Leider hat man sich in das dortige Klein-Klein (zynisch einmal als The Great Game bekannt) hineinziehen lassen. Warum nie wirklich darüber diskutiert wurde, dass über lange Zeit die Zielsetzung den Gegebenheiten vor Ort angepasst wurde, statt umgekehrt, weiß ich nicht. Der Selbstbetrug und das Desinteresse haben sich offensichtlich wie ein Nebel über weite Teile unserer Gesellschaft gelegt. Mandate wurden immer verlängert, Gelder bewilligt. Fehlentwicklungen? Wird schon, braucht einfach Zeit. Exit-Strategie wenn es ernst wird? Rückzug hat seit der Ostfront 1944 einen unangenehmen Beigeschmack. Bloß nicht weiter damit befassen.

Noch ein Punkt kommt hinzu: die Unterschätzung des Gegners und der Situation vor Ort. In der hiesigen Vorstellung sind Taliban oder Gotteskrieger zerzauste, unintelligente Gestalten, die irgendwo in den Bergen leben und nur mit einer Kalaschnikov bewaffnet sind. Diese Fehleinschätzung, zumeist deutscher und anderer westlicher Politiker bezahlen die Menschen zwischen Kundus und Kabul jetzt mit dem Leben. Jeder Kommandeur oder Soldat der westlichen Allianz weiß es inzwischen besser, aber die werden immer erst gehört, wenn es zu spät ist.

Werden wir uns weiter dem Selbstbetrug hingeben und die Hände vor Augen halten? Oder werden wir die Fakten akzeptieren und einen anderen Umgang mit Afghanistan entwickeln?
Russland, das seine Botschaft in Kabul weiterbetreibt und vor allem China machen es vor. Chinesische Delegierte trafen sich bereits mit den Taliban, als sich ihr Sieg abzeichnete und haben Gott weiß was für Verträge geschlossen und Abmachungen vereinbart. Afghanistan ist über ein paar sonnenverbrannte Steinwüsten und Felsen hinaus ein reiches Land. Kupfer, Lithium und Seltene Erden im Wert von Billionen Dollars warten darauf, in chinesischen Fabriken zu Mobiltelefonen und Autobatterien verarbeitet zu werden.
Auch hier wird man sich früher oder später mit den Steinzeit-Islamisten arrangieren. Ja, der Übergang wird nicht glimpflich verlaufen. Es werden Leute einfach verschwinden und andere öffentlichkeitswirksam bestraft. Die Sichtbarkeit von Frauen und Mädchen wird schlagartig auf Null gehen. Aber die Taliban und vor allem die Afghanen wissen genau, dass das Leben weitergehen wird. Alle werden sich anpassen, denn dass Millionen von Afghanen das Land verlassen und Aufnahme finden werden, ist höchst unwahrscheinlich und auch nicht realistisch.

Was das Scheitern in Afghanistan für die gesamte Region bedeutet, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Der Expansionsdrang der frömmlerischen Turbanträger wird nicht an den Grenzen haltmachen. Ich werde wohl nicht ganz falsch liegen, wenn ich als Erstes Pakistan unruhige Zeiten voraussage. Noch glaubt man in pakistanischen Geheimdienstkreisen, dass der Hund mit dem Schwanz wedelt und man die Taliban unter Kontrolle hat. Das haben die USA bei den Mudschaheddin in den 80ern auch einst geglaubt. Wir wissen heute, wohin das geführt hat, auch wenn die USA nicht selbst bedroht waren. Pakistan ist es durchaus.

Schwedt: Dach des Schwimmbades AquariUM eingestürzt

Wie mittlerweile verschiedene Medien berichten (z.B. Spiegel), ist am 11. Juli 2021 in Schwedt (Uckermark) das Dach des Schwimmbades AquariUM eingestürzt. Betroffen ist eine Fläche von 50 x 70 Metern. Personenschäden sind Gottseidank nicht zu beklagen, obwohl sich zum Zeitpunkt des Einsturzes 2 Gastromitarbeiter im Gebäude aufgehalten haben.

Dabei kann man noch von Glück sprechen, dass das Dach jetzt eingestürzt ist, da das Schwimmbad kurz vor der Wiedereröffnung stand. Wäre dieses Unglück im Zuge der Wiedereröffnung am Donnerstag passiert, hätte es durchaus Tote geben können, so ein Polizeisprecher. Das Aquarium wurde in Teilen saniert (angeblich betrafen die entsprechenden Arbeiten nur das Schwimmbecken), wobei noch unklar ist, ob der Dacheinsturz und die Sanierungsarbeiten in einem Zusammenhang stehen. Informierte Stellen sprechen von einem mittleren, einstelligen Millionenschaden. Ermittlungen zum Hergang und den Ursachen wurden eingeleitet und die Neueröffnung des Schwimmbades natürlich verschoben. Auch wenn „nur“ der Bereich des 25-Meter Schwimmbeckens betroffen war, macht es ja keinen Sinn, die Bereiche Spaßbad, Sauna und Fitness zu öffnen. Erstens weiß man nicht, ob auch diese Gebäudebereiche gefährdet sind und zweitens wird nach diesem Ereignis niemand ein Risiko eingehen wollen.

Mittlerweile hat die Kripo wohl Anzeige wegen Baugefährdung gegen Unbekannt gestellt. Das weitere Vorgehen hängt dann wohl von den fortschreitenden Ermittlungen und Erkenntnissen der Behörden ab.

Ein Anwohner will um die Mittagszeit ein verdächtiges Knacken aus dem Gebäude gehört haben, bevor das Dach gegen 15:20 Uhr mit einem großen Knall einstürzte und eine große Staubwolke erzeugte. Einsatzkräfte waren umgehend vor Ort und haben die Schwimmhalle gesichert und abgesperrt.

Auf die Unglücksursache bin ich wirklich gespannt, da das Schwedter Schwimmbad ein relativ junger Neubau ist und ein Schaden dieser Größe aus dem Nichts heraus auch sehr selten auftritt. Für die Stadtwerke Schwedt, als Betreiber, ist das natürlich eine Hiobsbotschaft. Nicht nur sind damit die Renovierungsarbeiten hinfällig sondern auch die dringend benötigten Einnahmen zuzüglich zum Bauschaden.

Das Schwimmbad AquariUM stand vor vielen Jahren bereits im Mittelpunkt einer kontrovers geführten Debatte um die damalige Schließung des altehrwürdigen und sehr beliebten Waldbades Schwedt.
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