Mitleid mit der SPD

Ja, nach der Europawahl und den Kommunalwahlen empfinde ich Mitleid mit der SPD. Oder nennen wir es nicht Mitleid, sondern eher Enttäuschung und teilweise Entsetzen.
Enttäuschung, weil es nach Rezos Video eher die CDU/CSU massiv hätte treffen müssen und Entsetzen, weil ich im Falle des Ostens genau sehe, wohin die Wählerstimmen geflossen sind.

Machen wir uns keine falschen Hoffnungen, der Erfolg der Grünen ist eine Eintagsfliege und die Situation stellt sich (betrachtet man Europa und auch Deutschland differenzierter) doch ganz anders da, als der grüne Hype uns weismachen will. Oftmals wanderten die verlorenen SPD Wählerstimmen in das braun-blaue Lager von NPD und AfD, jedenfalls im Osten geht man da pragmatischer an die Sache heran. Da benötigt der Wähler keine Verrenkungen des Rückgrats, um gestern CDU, heute SPD und morgen AfD zu wählen.

Und nun wird wieder viel analysiert werden. Es wird Apelle geben. Man wird noch mehr „zusammenstehen müssen“, „besser kommunizieren“ und „das Profil schärfen“. Alles Sachen, die man schon nach der Bundestagswahl 2017 hatte erledigen wollen. Für mehr als eine Personalrochade hat es dann aber doch nicht gereicht.
Und dieses Mal soll nicht einmal das stattfinden. An vor allem zwei Personen kristallisiert sich jetzt die Kritik und die Wut der Parteigenossen: Andrea Nahles und Katarina Barley.
Ja, die Voraussetzungen für die SPD waren nicht wirklich gut, aber dieser einschläfernde Wahlkampf von „mehr ging nicht“ Barley war doch nicht nötig. Nun räumt die Dame ihren Ministerposten und geht als geprügelte Hündin nach Brüssel und nimmt einen Teil der Verantwortung für zweistelligen Prozentverlust mit sich.
Frau Nahles wird wohl oder übel einen ihrer Posten abgeben (müssen). Wenn sie schlau ist, wird das der unnütze Fraktionsvorsitz sein. Als Parteichefin hat sie immerhin noch ein wenig Gestaltungsspielraum, wenn sie denn wirklich nochmal Kanzlerin werden möchte (hüstel). Allerdings rücken bereits jetzt viele „Parteifreunde“ mit der Säge in der Hand an, um die ungeliebte und erfolglose Nahles loszuwerden. Kampflos wird sie ihren Stuhl allerdings nicht räumen, das hat sie schon durchblicken lassen, und wenn man ehrlich ist, wird sie sogar noch gebraucht. Landtagswahlen im Osten und damit weitere Schlappen stehen an und wer auch immer neu auf diesen Posten gewählt worden wäre, müsste gleich zu Beginn seiner Amtszeit 3 krachende Niederlagen verantworten. Dazu kommt die (ernüchternde) „Halbzeitbilanz“ im Wirken in der Großen Koalition, die man auf Seiten der Sozialdemokraten dafür nutzen könnte, entweder die GroKo platzen zu lassen oder schnell noch mit der durchgedrückten Grundrente und etwas Klimaschutz zu punkten. Jedenfalls, so sehr auch Kühnert und Co. giften werden (und wahrscheinlich irgendwo Recht haben): jetzt die GroKo zu verlassen und wieder mal das Führungspersonal auszutauschen und dann bei den Landtagswahlen so richtig baden zu gehen, das wäre einfach suboptimal.
Nahles abzulösen, dafür wäre beim Parteitag Endes des Jahres immer noch Zeit und Gelegenheit. Die Kandidaten könnten sich in Stellung bringen und Nahles die anstehenden Wahlniederlagen als eine Art Bad Bank für sich verbuchen. Und dann kommen Gestalten wie z.B. der Buchhändler aus Würselen zurück, womit wir endgültig beim Thema Mitleid wären.

Mir persönlich ist das Schicksal der angesprochenen Personen relativ egal, und auch ob es die alte Tante SPD nochmal schafft, sich auf ihren Markenkern zu konzentrieren oder an der „Strategiefähigkeit“ zu arbeiten (alles Bullshit Bingo) – aber wenn man sieht, durch was oder wen die verlassenen Altäre bevölkert werden, dann wünsche ich mir eine stabile und verlässliche SPD zurück. Das jetzt hat sich nicht verdient und die Konsequenzen daraus haben auch WIR nicht verdient.

Schreibe einen Kommentar