Diese Fußball WM in Katar nervt mich schon jetzt

Was soll das?

Die Fußball Weltmeisterschaft 2022 in Katar nervt mich schon, bevor überhaupt die deutsche Nationalmanschaft ihr Auftaktspiel absolviert hat.

Mich nervt dieses späte Entdecken eines Gewissens bei großen Teilen deutscher Bedenkenträger. Wann ist diese WM vergeben worden? Vor 12, 13 Jahren? Man hatte also über ein Jahrzehnt Zeit, sich zu entscheiden, wie man mit dieser ungeliebten Entscheidung umgeht und ist heute keinen Schritt weiter?! Jeder betont, dass das ein sportliches Ereignis ist und nicht mit Politik vermischt werden soll – aber die größte Aufregung herrscht um Manuel Neuers Kapitänsbinde, die der Torwart gegen alle disziplinatorischen Widerstände hindurch präsentieren will. Wo erleben wir soviel Courage, wenn er der FC Bayern mal wieder in den Emiraten trainiert?
Ja, die Spieler selbst sollen in sich gehen und von sich aus boykottieren, damit wir anderen uns alle wohler fühlen. Entscheidungstransfer. Wäre ich ein Spitzenfußballer und der Bundestrainer hätte mich in die Riege der besten Spieler meines Landes berufen, ich wäre doch bescheuert, jetzt in den Sack zu hauen.

Dieser in der Theorie selten dämliche Zeitpunkt, um eine WM abzuhalten stellt sich auch in der Realität als absolute Spaßbremse heraus. Angesichts von -8 Grad gestern morgen dürstet es mich nach Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, aber nicht nach „Get Togethers“ in einer Fußballkneipe. Auf den Straßen jede Menge Eis und Schnee, aber keine Fanmeile oder Gartenparties. Wer hätte das im Winter gedacht. Jetzt muss eben die Südhalbkugel bzw. der arabische Raum die nordische Lustlosigkeit kompensieren.
Nein, wir wissen, dass die Entscheidung für Katar keine sportlichen Gründe hatte. Es wurde dort nicht einer überbordenden Freude am Fußball entsprochen. In den Hinterhöfen der Wolkenkratzer wird nicht mit Konservendosen gekickt und auch werden die Stadien bei den regulären Ligaspielen nicht ausverkauft. Wir haben es ja beim Auftaktspiel gesehen. Das bisschen Fanvolk aus Katar selbst hat noch in der ersten Halbzeit das Stadion verlassen. Ein staufreier Heimweg war dann doch wichtiger, als Wohl und Wehe des eigenen Teams. Wenn man jetzt aber den Einwohnern attestiert, dass sie ihr Vergnügen eher aus Pferde-, Kamelrennen und Falkenjagd ziehen, dann schlägt in Deutschland aber die Empörungsampel auf rot-grün um. Wahrscheinlich muss man sich jetzt noch ganz schlecht fühlen, weil der aus der Zeit gefallene Showdampfer Wetten Dass 4 Millionen Menschen mehr begeistern konnte, als die Begegnung Katar – Ekuador.

Ja mir tut das für die Spieler und den Fußball leid, dass die das ausbaden müssen, was einige wenige Sportgewinnler ausgekaspert haben. Der Komiker und Satiriker Oliver Kalkofe hatte Recht. Dank der FIFA müssen wir uns jetzt für oder gegen den Fußball entscheiden, obwohl wir uns eigentlich schon für den Fußball begeistern wollen. Und zu Infantino schreibe ich jetzt mal nichts.
Ich bin aber der Meinung, dass die Welt weniger Clowns braucht.

Leider hat mir das ganze Generve rund um die Fußball WM in Katar jedweden Restspaß am Turnier und die Energie genommen, mich für dieses Großereignis zu begeistern. Stand jetzt werde ich die Resultate einfach zur Kenntnis nehmen.

Bad Heat on the Brasserie Lorraine

Liebe Genossenschaft Restaurant Brasserie Lorraine in Bern. Manchmal ist es im Geschäftsleben wie im Professionell Wrestling. Und hin und wieder schießt man kapitale Böcke, im Wrestling wie im Leben.
Im Wrestling wird immer versucht Heat zu erzeugen. „To get heat on somebody“ bedeutet, dass einer oder mehrere der Akteure aus Publikumssicht mit Emotionen behaftet, quasi aufgeladen werden. Und weil Heat nie ein Selbstzweck ist, muss man genau wissen, wie sie sich auszahlen soll. Der Bösewicht soll noch böser rüberkommen, der Held noch strahlender. Wir unterscheiden dabei zwei Arten von Heat: positive heat und negative heat. Beide Arten stehen in Wechselwirkung miteinander, beide Arten von Heat werden unterschiedlich erzeugt und in Wert gesetzt und man muss sehr vorsichtig im Umgang sein. Vor allem mit der negative Heat. Wenn diese nicht richtig kanalisiert wird, schlägt sie unvorteilhaft als Backlash zurück. Jetzt werden Leute kommen und sagen, dass Heat erzeugen nichts anderes wäre, als Aufmerksamkeit erregen und jede Art von Aufmerksamkeit ist richtig und gern gesehen (any news is good news). Leider gilt das nur in einem auf Kurfristigkeit angelegten Geschäftsmodell und schon gar nicht für „Marken“. Die erholen sich von negativer Aufmerksamkeit unter Umständen überhaupt nicht und sind irreparabel beschädigt.

Jetzt hat die gute Brasserie Lorraine Bern mit dem Konzertabbruch der Mundart-Band lauwarm förmlich nuclear heat erzeugt. Was genau passiert ist und warum erfahrt ihr aus den Medien, das trete ich hier nicht noch einmal breit. Nur soviel: man hat wohl die Rechnung falsch aufgemacht, indem man glaubte, der erwartete moralische Gewinn übertrifft die Verluste (ein paar empörte Konzertbesucher) um ein Vielfaches. Jetzt hat man unglaublich viel negative heat an der falschen Stelle erzeugt und wird sie nicht mehr los. Im Wrestling wäre das jetzt die Stelle, wo der Bösewicht in Stellung gebracht wurde, sich zutiefst hinterhältig und schlecht benahm und nun … und nun der strahlende Held fehlt, der die Situation mit seiner positive heat auflöst. Zu dieser Auflösung ist es nicht mehr gekommen. Der Held (die Band lauwarm) ist als Verlierer aus dieser Konfrontation gegangen, im Ruf beschädigt und die Brasserie wird die negative heat nicht los. Das Publikum ist zwar mega engagiert, weil es nicht das serviert bekommen hat, was es sehen wollte – aber letztlich auch unzufrieden mit dem Ausgang. Normalerweise sollte sich heat für die Beteiligten auszahlen. In diesem Fall mit positiven Bewertungen und mehr Gästen der Beiz. Aber seit Tagen ist man dort damit beschäftigt, negative Google Bewertungen löschen zu lassen und sich mit widersprüchlichen Pressemitteilungen noch tiefer reinzureiten. Ob die Besucherzahl konform sinkt, kann ich nicht beurteilen, aber zumindest Musiker und Künstler werden es sich bestimmt zweimal überlegen, ob sie dort auftreten werden. Dafür, dass der Fall nun sogar international Schlagzeilen macht, kann sich die Brasserie in Bern nichts kaufen. Heat ist eben kein Selbstzweck.

Die Marke „Genossenschaft Brasserie Lorraine“ ist jetzt massiv beschädigt und eigentlich müsste jetzt die Führungsetage bzw. die Verantwortlichen zurücktreten. Im Wrestling wäre der Booker auch gefeuert worden und die Wrestler für eine Zeit ins dog house gesperrt. Solche verbockten Aktionen haben auch schon manche Karriere beendet. Hätte man jetzt einfach mal im Handbuch für Brand-Manager nachgeschlagen oder brain.exe benutzt, dann würde man sicher mit einem großen Sorry aufgewartet haben, um Vergebung bitten und den Shitstorm versuchen abzureiten, ohne über jedes Stöckchen zu springen. Passiert aber nicht. Nur löst sich negative heat nicht einfach auf, nur weil man sich das wünscht.

Landtagswahl Sachsen Anhalt 2021 – Versuch einer Interpretation

Das war sie nun, die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 2021 und somit letzter Stimmungstest vor der Mutter aller Wahlen – der Bundestagswahl im September. 1.8 Millionen Wahlberechtigte und eine Wahlbeteiligung, die einer demokratischen Überzeugung spottet. Sollte der Ostbeauftragte mit seiner Kritik nicht sogar Recht gehabt haben?
Aber gehen wir die Ergebnisse der

CDU

Wie auch immer das Stimmenplus zustande kam: Respekt dafür. Leader of the Gang. Und das obwohl Maskendeals, Laschet und eine generelle #niewiederCDU Grundstimmung herrschten.
Größtenteils dürfte der Amtsbonus von Reiner „David“ Haselhoff und sein gepflegtes Image als treusorgender Landesvater für ein paar Prozentpunkte mehr gesorgt haben. Ich persönlich finde den Mann ja eher blass, aber bei CDU Wählern weiß man ja sowieso nie so genau, wie die ticken. Dazu ein unausgesprochener Konsens, dass die AfD kleingehalten werden muss, indem man der regierenden Partei seine Stimme gibt.
Wenn jetzt ein Angebot der Brunnenvergifter aus der AfD zwecks „bürgerlicher“ Koalition kommt, kann man aber mal austesten, was die angebliche Geschlossenheit der CDU und das Versprechen einer Brandmauer gegen die AfD wert ist. Gerade das sehen viele Haseloff Kollegen anders als ihr Chef.

AfD

Irgendwas um 20 Prozent reichte dann doch nicht für die Machtergreifung. Ist aber immer noch viel zu viel. Um sich nichts vorzumachen: Unter den 20 Prozent mögen einige Wutwähler dabei sein, aber Sachsen-Anhalt ist nicht nur Osten sondern spezieller Osten. Da wählt ein Großteil aus kackblauer Überzeugung, obwohl es angeblich das Land der Frühaufsteher ist. Mit Protest hat das dann nicht mehr viel zu tun.

Die Linke

Das einstige Alleinstellungsmerkmal der „Stimme des Ostens“ hat man an die, hört hört, AfD und CDU verloren. Das Spitzenpersonal reißt es nicht und die Partei sowie ihre Wähler sind in die Jahre gekommen. Nachwuchs ist nicht in Sicht und Henning-Wellsow ist bundesweit ohne Format. Aus eigener Kraft scheint es der Landesverband in Sachsen-Anhalt aber nicht zu schaffen.

SPD

Eine beängstigende Schrumpfung und am Ende steht das Schicksal einer Splitterpartei. Woran liegt es? Das wüssten die Genossen im Willy Brand Haus auch gern. Für eine Koalition dürften 8 Prozent reichen, aber das ist nichts, worauf man langfristig aufbauen kann. Die Genossen brauchen unbedingt wieder einen Markenkern, wollen sie in der Parteienlandschaft noch wahrgenommen werden.

FDP

Glückwunsch FDP. Wieder mal im Landtag vertreten. Wozu weiß allerdings auch niemand. Vor allem nach der Kemmerich-Nummer in Thüringen vor einem Jahr witzeln die Ersten schon, wann die FDP von CDU und AfD ein gewissen Angebot erhält.

B90 / Grüne

Ergebnis verbessert und dennoch „verloren“. Irgendwas um 6 Prozent kann nicht der Anspruch einer Partei sein, die in den bundesweiten Umfragen knapp auf Platz 2 liegt. Es ist eben der Osten und was auch immer sich die Grünen einreden (lassen): abgesehen von Berlin sind sie im ostdeutschen Land nur eine Randnotiz. Und Berlin ist nicht der Osten. Klima- und Umweltschutz ziehen hier nicht, den Kampf gegen Rechts verbindet man nicht mit den „Ökonazis“ und Baerbocks naives und unprofessionelles Auftreten in den letzten Wochen hat auf die Wählerstimmung abgefärbt.

Alles unter 5 Prozent

Die Basis und wie diese anderen Corona-Schwurbelfritzen alle heißen mögen, kamen nicht zum Zug. Wahrscheinlich hatten ihre angepeilten Wähler mit der Suche nach Impfterminen zu tun. NPD und andere nationale Sozialisten sind zwar weg vom Fenster, haben ihre Stimmen aber eben an die AfD abgegeben. Freie Wähler spielen eher auf kommunaler Ebene eine Rolle.

Und was heißt das nun?

Wenn man in den Bundeszentralen der großen Parteien nur wüsste, wie dieses Ergebnis einzuordnen ist …
Nichtsdestotrotz wird schon einmal gedeutelt und getönt, obwohl jeder weiß, dass sich Sachsen-Anhalt nicht als Blaupause eignet. Es hat sich nur wieder gezeigt, dass die Menschen dort eben – speziell sind (um das mal höflich zu formulieren).
Durch Pandemie und Lockdown sieht man ohnehin alles verschwommen und wie im Nebel. Es war schwer auszumachen, ob es überhaupt Themen gab, die die Menschen umtreiben und wenn ja, wie stark diese mit Parteien in Verbindung gebracht wurden. Schon dass man der CDU eine Kümmererrolle für Ostbelange zuschreibt, spricht verstörende Bände. Dachte man doch eher, das schwarze Personal kümmere sich hauptsächlich um einträgliche Maskendeals.
Kann sich Armin Laschet nun beruhigter fühlen, weil die CDU das Siegen nicht verlernt hat? Weil ein ähnlich farbloser Ministerpräsident wie er zur Integrationsfigur taugt?
Freut sich Herr Söder in Bayern für die Schwesterpartei?
Ist auch bei der Bundestagswahl ein vergleichbares Ergebnis für die AfD drin?
Ist der grüne Annalena Zug nun entgleist, wie Friedrich Merz (kann den bitte mal jemand abschalten?) frohlockte?
Dürfen die Freien Liberalen wieder träumen? Von geplatzten Koalitionsverhandlungen, weil man lieber wieder nicht regieren will?
Beißen sich die Linken in den Arsch, weil sie Sarah Wagenknecht hätten haben können, aber stattdessen Henning-Wellsow und Wissler auf Geisterfahrt schickten?

Fragen auf die es vielleicht in etwas mehr als 100 Tagen Antworten geben wird.

Mitleid mit der SPD

Ja, nach der Europawahl und den Kommunalwahlen empfinde ich Mitleid mit der SPD. Oder nennen wir es nicht Mitleid, sondern eher Enttäuschung und teilweise Entsetzen.
Enttäuschung, weil es nach Rezos Video eher die CDU/CSU massiv hätte treffen müssen und Entsetzen, weil ich im Falle des Ostens genau sehe, wohin die Wählerstimmen geflossen sind.

Machen wir uns keine falschen Hoffnungen, der Erfolg der Grünen ist eine Eintagsfliege und die Situation stellt sich (betrachtet man Europa und auch Deutschland differenzierter) doch ganz anders da, als der grüne Hype uns weismachen will. Oftmals wanderten die verlorenen SPD Wählerstimmen in das braun-blaue Lager von NPD und AfD, jedenfalls im Osten geht man da pragmatischer an die Sache heran. Da benötigt der Wähler keine Verrenkungen des Rückgrats, um gestern CDU, heute SPD und morgen AfD zu wählen.

Und nun wird wieder viel analysiert werden. Es wird Apelle geben. Man wird noch mehr „zusammenstehen müssen“, „besser kommunizieren“ und „das Profil schärfen“. Alles Sachen, die man schon nach der Bundestagswahl 2017 hatte erledigen wollen. Für mehr als eine Personalrochade hat es dann aber doch nicht gereicht.
Und dieses Mal soll nicht einmal das stattfinden. An vor allem zwei Personen kristallisiert sich jetzt die Kritik und die Wut der Parteigenossen: Andrea Nahles und Katarina Barley.
Ja, die Voraussetzungen für die SPD waren nicht wirklich gut, aber dieser einschläfernde Wahlkampf von „mehr ging nicht“ Barley war doch nicht nötig. Nun räumt die Dame ihren Ministerposten und geht als geprügelte Hündin nach Brüssel und nimmt einen Teil der Verantwortung für zweistelligen Prozentverlust mit sich.
Frau Nahles wird wohl oder übel einen ihrer Posten abgeben (müssen). Wenn sie schlau ist, wird das der unnütze Fraktionsvorsitz sein. Als Parteichefin hat sie immerhin noch ein wenig Gestaltungsspielraum, wenn sie denn wirklich nochmal Kanzlerin werden möchte (hüstel). Allerdings rücken bereits jetzt viele „Parteifreunde“ mit der Säge in der Hand an, um die ungeliebte und erfolglose Nahles loszuwerden. Kampflos wird sie ihren Stuhl allerdings nicht räumen, das hat sie schon durchblicken lassen, und wenn man ehrlich ist, wird sie sogar noch gebraucht. Landtagswahlen im Osten und damit weitere Schlappen stehen an und wer auch immer neu auf diesen Posten gewählt worden wäre, müsste gleich zu Beginn seiner Amtszeit 3 krachende Niederlagen verantworten. Dazu kommt die (ernüchternde) „Halbzeitbilanz“ im Wirken in der Großen Koalition, die man auf Seiten der Sozialdemokraten dafür nutzen könnte, entweder die GroKo platzen zu lassen oder schnell noch mit der durchgedrückten Grundrente und etwas Klimaschutz zu punkten. Jedenfalls, so sehr auch Kühnert und Co. giften werden (und wahrscheinlich irgendwo Recht haben): jetzt die GroKo zu verlassen und wieder mal das Führungspersonal auszutauschen und dann bei den Landtagswahlen so richtig baden zu gehen, das wäre einfach suboptimal.
Nahles abzulösen, dafür wäre beim Parteitag Endes des Jahres immer noch Zeit und Gelegenheit. Die Kandidaten könnten sich in Stellung bringen und Nahles die anstehenden Wahlniederlagen als eine Art Bad Bank für sich verbuchen. Und dann kommen Gestalten wie z.B. der Buchhändler aus Würselen zurück, womit wir endgültig beim Thema Mitleid wären.

Mir persönlich ist das Schicksal der angesprochenen Personen relativ egal, und auch ob es die alte Tante SPD nochmal schafft, sich auf ihren Markenkern zu konzentrieren oder an der „Strategiefähigkeit“ zu arbeiten (alles Bullshit Bingo) – aber wenn man sieht, durch was oder wen die verlassenen Altäre bevölkert werden, dann wünsche ich mir eine stabile und verlässliche SPD zurück. Das jetzt hat sich nicht verdient und die Konsequenzen daraus haben auch WIR nicht verdient.

„Die Zerstörung der Annegret Kramp Karrenbauer“

Dass ich mal ein indirektes Lob über Angela Merkel schreiben werde – wer hätte das gedacht?

So sehr ich den „Merkel muss weg“ Ruf mal verstehen konnte (den Ruf, nicht die die ihn rufen), so sehr hat mich die Frage umgetrieben: wenn Merkel mal weg ist, was kommt dann?

Nun wissen wir, wie der Plan in etwa aussehen sollte. Annegret Kramp Karrenbauer wurde erst in das Amt der Parteichefin gehievt, um dann in einem geräusch- und lautlosen Übergang Angela Merkel als Kanzlerin zu beerben.

Und jetzt, nach mißglückten Karnevalsscherzen, der desaströsen Europa- und den nicht berauschenden Kommunalwahlen, dem Rezo Video und dem damit verbundenen, beunruhigenden Vorstoß zur Beschneidung der Meinungsfreiheit kann man nur eines festhalten:

Angela Merkels Schuhe sind Annegret Kramp Karrenbauer zu groß, viel zu groß. Die Schuhe der Parteichefin ohnehin und die Schuhe als Kanzlerin erst recht.

AKK kann Partei nicht und sie kann Kanzlerin nicht.
Nicht, dass ich Merkel in ihrer Rolle als Regierungschefin groß vermissen würde (ihr willentlicher Mangel an politischer Gestaltung ist bei der aktuellen Problemlage einfach nicht vermittelbar), aber der Schock über das nachfolgende Personal sitzt einfach zu tief.
Durch das unglückliche Agieren von AKK in der kurzen Zeit seit ihrer Beförderung bemerken wir erst einmal, wie lautlos und unauffällig Merkel regiert. Durch die ganzen Jahre mit der „stillen Mutti“ ist in uns die Überzeugung gewachsen, dass das ganz normal wäre. Ist es aber offensichtlich nicht. AKK sieht keinen Grund, irgendetwas zu ändern – sehen die CDU Granden das genauso? Wer in dieser personelle ausgebluteten, ehemaligen Volkspartei sollte sie ersetzen? Friedrich Merz? Ursula von der Leyen? Jens Spahn??

Das ist eben auch die Tragik der Angela Merkel. So sehr sie zur Lichtgestalt und Heilsbringerin der Christdemokraten wurde, so sehr lichtete sich die zweite Reihe. Nach ihr kommt lange nichts. Entweder, weil sie alles weggebissen hat oder aufstrebende Talente in ihrer nun überlangen Regierungszeit versauerten.
Kramp Karrenbauer war handverlesen und der eindeutige Wunsch Merkels für ihre Nachfolge. Diese offensichtliche Nicht-Eignung AKKs kann Merkel nicht entgangen sein. Wenn doch, muss man sich fragen, wann ihr das Urteilsvermögen abhanden gekommen ist und wenn nicht, was für einen Grund gerade diese Personalentscheidung hatte. Wollte Angela Merkel ihrer Partei nachträglich eins reinwürgen? Hat der Verlust des Parteivorsitzes sie so sehr gekränkt, dass sie eine blasse Nachfolgerin installierte, um allen zu zeigen, was für einen Fehler sie mit ihrer Demontage machen?
Man wird es wohl nie herausfinden.
Allerdings wird sich wiederum die Zukunft der AKK bald entscheiden. Ihre internen Kritiker begehren immer lauter auf, sie hat gewisse Diskussionen in ihrer Partei nicht mehr im Griff (CO2 Steuer) und bei den kommenden Landtagswahlen im Osten droht die CDU von der AfD überholt zu werden. Und wie man so hört, sind die Wahlkämpfer vor Ort überhaupt nicht mit der fehlenden Unterstützung aus dem Konrad Adenauer Befehlsbunker einverstanden. Ein Putsch wird früher oder später wahrscheinlich.

Ist Martin Schulz einfach nur ein genialer Stratege?

Dass derselbe Herr Schulz, der seiner Partei erst die Rolle des Oppositionsführers zuschrieb und sie dann doch in Koalitionsverhandlungen führte – geschenkt.

Dass derselbe Herr Schulz, der erst ein Ministeramt in einer Regierung Merkel strikt ablehnte und dann doch seinen Wunschposten, das Außenministerium, anstrebt – geschenkt.

Allen Kritikern sei eine Kanzlerin ins Gedächtnis gerufen, mit der es eine PKW Maut ja niemals geben würde …

Derselbe Herr Schulz, der gefühlsbesoffen mit 100% der Stimmen zum Parteichef und Kanzlerkandidat gewählt wurde, hat jetzt nach 325 Tagen mit seinem Rückzug eingestanden, dass die Mission Kanzleramt zu keinem Zeitpunkt eine realistische Chance hatte.

Aber je mehr ich über das alles nachdenke, desto mehr muss ich mich mit der Frage beschäftigen, ob Martin Schulz nicht einfach ein großer Stratege und Spieler ist.

Warum?

Als ich (wie viele andere auch) kopfschüttelnd miterlebte, wie sich CDU/CSU, Bündnis 90/Grüne und FDP an der Quadratur des Kreises versuchten und kläglich scheiterten – da lief es mir eiskalt über den Rücken. Martin, Du Fuchs!
Erst die eigene Partei mit Rückzug in die Fundamentalposition aus der Schusslinie nehmen, dann zusehen, wie es Jamaika verbocken würde, um dann als letzter Strohhalm für Muttis Kanzlerinnenwahlverein dreist rausverhandeln, was geht. Oder bis es quietscht.

Sechs Ministerien, darunter Schlüsselpositionen wie das Finanzministerium und ein Koalitionsvertrag, der dem Seniorpartner förmlich aufgezwungen wurde – so gut ist noch kein Wahlverlierer aus den Verhandlungen gekommen.

Und ich bin der Meinung, die SPD hätte sogar noch mehr rausschlagen können, ja müssen.
Neuwahlen wollte bis auf die AfD niemand. Absolut niemand.
Mutti möchte einfach nur regieren. Aber nur unter geklärten Verhältnissen und in stabilen Koalitionen. Nichts mit Minderheitsgegurke und Kampf der Argumente und besseren Optionen. Und weil die CDU/CSU niemanden außer Mutti hat und Muttis Wunsch, der Partei Befehl ist – wird jede, aber auch jede Kröte geschluckt. Und davon hat ihr die SPD Verhandlungskolonne so einige serviert.

Also, wenn das wirklich alles auf Martin Schulz Kappe geht und er das geplant hat: Hut ab.
Damit das alles für die Basis erträglicher wird (auch ganz unten angekommen, soll es ja noch Leute mit Anstand und Rückgrat geben), gibt es vor dem Showdown noch eine Runde mit dem Personalkarussel: Der Martin verzichtet auf den Parteivorsitz, damit er sich voll und ganz auf das Ausland konzentrieren kann (wo er dann seinen Spezi+Gönner+Förderer, den Siggi, nochmal so richtig mit Anlauf in die Wüste schicken kann) und Genossin ÄtschiBätschi Nahles übernimmt auf der Kommandobrücke des geschrumpften Tankers SPD das Ruder. Ach ja, Olaf, der Unvermeidliche aus Hamburg hat sich sogar bis ins Finanzministerium gemosert. Stänkern kommt eben doch weiter. Aber das nur am Rande.

Aber.

Aber!

Leider, leider sind Wahlkampf- und vor allem Ergebnisanalysen in postfaktischen Zeiten wie diesen aus der Mode gekommen. Hier haben sich immerhin zwei absolute Wahlverlierer (wieder)gefunden und keiner hat jetzt noch Lust und Muße, sich um die Aufarbeitung dieser Katastrophe zu kümmern. Dabei gab es doch nach der Wahl so große Ankündigungen: #SPDerneuern #WirHabenVerstanden #AufDieFresse

177 Seiten Koalitionspapier, das alles regeln soll; und doch hat man die entscheidende Sache irgendwie übersehen. Also, diese Sache, die einem die massiven Stimmverluste überhaupt erst eingebracht hat. Und … liebe SPD, es war nicht die Angst der Bürger wegen der Digitalisierung oder Gleichgeschlechtliche Partnerschaften oder vermurkste Energiewende.
Der CDU brauche ich da nichts sagen, denn die hat ja laut ihrer Vortänzerin keine Fehler im Wahlkampf oder in der Regierung gemacht.

Und solange ihr euch um die heißen Eisen herumdrückt und sich jeder seine Hintertürchen einbaut, solange werdet ihr bei jeder Kommunal-, Landtags- und später Bundestagswahl aus Angst vor der AfD zittern müssen.

Die Karawane zieht weiter …

Nun sind mehrere Tage seit dieser „Schicksalswahl“ ins Land gezogen und ich schaue mich um, ob das Abendland denn schon untergegangen ist.
Nein, es steht noch. Noch.
Eigentlich haben mir gewisse Kreise ja schon nach Donald Trumps Wahl zum US Präsidenten den Weltuntergang versprochen, aber der weigert sich hartnäckig. Und nun auch noch die AfD, oh Gott oh Gott. Knapp 13% und bei einigen Volksgenossen setzt die Schnappatmung ein. Als ob Gauland Bundespräsident geworden wäre und Bernd Höcke Kanzler.

Natürlich wussten alle, dass der Osten und genauer die Sachsen Schuld sind. Schon allein wegen Pegida und NSU und … ach überhaupt; weil es Ossis sind. Warum so viele enttäuschte Wähler ihr Häkchen diesmal nicht bei CDU/CSU, SPD und GrünInnen gesetzt haben, hat bisher keiner der Parteistrategen verraten. Vielleicht wollen sie es auch gar nicht wissen, immerhin ist nach der Wahl vor der Wahl. Und jetzt wird es für zwei Fliegenschisse besonders spannend: Mit Grün und Gelb bestimmen zwei Fraktionen die Geschicke dieses Landes mit, denen jeweils nur knapp ein zweistelliger Prozentteil der Wähler sein Vertrauen ausgesprochen hat. Die geprügelten Sozen schmollen in der Opposition (wobei ihnen einer ihrer Vordenker mal ins Stammbuch geschrieben hat: Opposition wäre Mist) oder warten, bis das Schwarz-Grün-Gelbe Gedöns wackelt und auseinanderbricht und man wieder nach ihnen ruft. Kann natürlich auch sein – dem Martin aus Brüssel (warum, oh warum gab es für den keine andere Anschlußverwendung?) ist dieser Schachzug zuzutrauen. Als über alle Maßen erfolgloser Kanzlerkandidat hat er nach dem vergeigten Sturm auf die Waschtrommel selbstverständlich die richtigen Konsequenzen gezogen und ist …. nicht zurückgetreten. Da würde er ja jetzt genauso unbedeutend werden wie der noch amtierende Außenminister und Vizekanzler Gabriel. Obwohl, als Außenminister war er wohl besser als erwartet, aber nicht wenige seiner Genossen kreiden ihm diesen Wahlausgang an. Der Wurschtelkurs als Parteivorsitzender und diese hopplahopp Kandidatenkür waren aber wirklich nicht der große Hebel, liebe Genossen. Euren mutlosen und offensichtlich heuchlerischen Anti-Mutti-Kurs hat euch das geneigte Stimmvieh nicht mehr abgenommen. So einfach kann das manchmal sein. Ihr habt euch das in der GroKo kuschelig eingerichtet und dann plötzlich den großen Schrecken bekommen, als man euch in die Mithaftung bei Muttis Flüchtlingskurs nahm.
Ach ja, die Mutti („Sie kennen mich …“), die hat nun 4 Jahre damit zu tun, den Laden zusammenzuhalten und in Ruhe einen Nachfolger/eine Nachfolgerin aufzubauen. Da bleibt fürs Regieren wenig Zeit. Schäuble, der Garant des soliden Haushalts und Bollwerk gegen die Traumtänzereien der anderen Ministerien, ist weg und dem Onkel Horst steigen sie in Bayern aufs Dach, wenn er in Berlin nichts reißt. Es werden also nur noch Nachfolgekämpfe und Rangkämpfe der kleinen Koalitionspartner ausgetragen. Von ehrlichen und echten politischen Debatten, den Fragen wie wir eigentlich im 21. Jahrhundert leben wollen, habe ich mich schon lange vor dieser Wahl verabschiedet. Frau Merkel sieht das übrigens ähnlich: „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssen“. Sehe ich auch so, es hat ja aus Ermangelung von Gegnern wieder mal für die Kanzlerschaft (sehr wahrscheinlich die letzte) gereicht. Mehr ist nicht wichtig. Die drängenden Fragen zu beantworten oder auch nur zu diskutieren war ja in den 12 Jahren davor auch schon nicht wichtig. Schade, dass sich diese Frau so wenig bis gar nicht für Politik oder auch nur irgendwas außerhalb des CDU Präsidiums interessiert.
Glaubt doch nicht, dass auch nur irgendein Problemchen in diesem Land gelöst wird, weil jetzt der edle Retter aller Ärzte und Rechtsanwälte, Herr Lindner und die Bevormunder Göring-Eckardt/Özdemir auf die Regierungsbank zurückkehren werden.
Wird es halt in 4 Jahren für die AfD für 20 plus x Prozent reichen. Sachsen sollte dann schon mal die Möglichkeiten eines Saxit eruieren. Bei Katalonien kann man schon mal sehen, wie es nicht geht. Es werden dann alles wieder tumbe 25% Nazis sein (dann gehen uns aber so langsam die abgelegenen Dörfer aus, wo die blaue Pest angeblich gewählt wird), die nicht einsehen wollen, dass diese Multikulti-Schlafwagen-gute-und-gerne-Lila-Laune-Wischi-Waschi-Politik alternativlos ist.

In diesem Sinne.