Essbar oder giftig? – 9 populäre Irrtümer über Pilze

Dieser Artikel behandelt die populären Irrtümer, die bei der Unterscheidung von giftigen und essbaren Pilzen noch immer herangezogen werden aber mehrheitlich falsch sind.

Jedes Jahr ab Sommer sind die Wälder voll von Pilzen und voll von denen, die sie sammeln.

Das Problem besteht also nicht unbedingt darin, irgendwelche Pilze zu finden, denn es gibt Jahre, die gelten als ausgemachte „Pilzjahre“ und sorgen für eine wahrhafte Pilzschwemme.

Die entscheidende Frage lautet doch eher: ist dieser Pilz giftig oder essbar?

Und jedes Jahr finden sich in den Krankenhäusern Pilzsammler wieder, die diese Frage im Selbstversuch beantworten wollten. Sagen wir, wie es ist: an schweren Pilzvergiftungen kann man durch Leberschädigung und Organversagen sterben oder zumindest lebenslange Schäden davontragen.

Der Hauptanteil der gesammelten Pilze wird sich wohl auf drei bis vier Arten beschränken (Steinpilze, Maronen, Pfifferlinge …). Je nach Region zeigen andere Pilze eine dominante Verbreitung, aber es bleiben dennoch immer nur eine Handvoll von Arten übrig. Und selbst bei dieser überschaubaren Bandbreite kommt es immer wieder zu Vergiftungen durch Verwechslungen.

Woran kann dies liegen?

Ich kann mir vorstellen, dass es in erster Linie Leute trifft, die wenig bis gar keine Erfahrung haben und dennoch auf die Pilzjagd gehen. Niemand gibt sich gern die Blöße, dass er von einem Thema keine oder nur wenig Ahnung hat – vor allem, wenn es um ihn herum nur so von Experten wimmelt. Eine Spur Überheblichkeit oder Eitelkeit mag da hinzukommen.

Ein weiterer Grund liegt im gefährlichen Halbwissen über die Essbarkeit von Pilzen, dass nun schon seit Jahrhunderten weitergereicht wird, ohne dass man ihm den Garaus machen kann.
Jeder hat bestimmt schon einmal von untrüglichen Tests oder Regeln gehört, wie man ganz einfach zwischen Gift- und Speisepilzen unterscheiden kann. Volksglauben, Überlieferungen und Weisheiten, die noch von der Großmutter stammen. Wie bei allen Pauschalitäten hält nichts davon einer strengen Untersuchung stand. Und dennoch sind diese Irrtümer nicht totzukriegen und geistern so seit Jahrhunderten durch das gesellschaftliche Gedächtnis.
Ich habe einmal versucht, die populärsten Irrtümer über Giftpilze zusammenzutragen und näher zu beleuchten.

Fangen wir an:

1. Pilze mit Röhren sind essbar, die mit den Lamellen giftig.

Der Klassiker schlechthin.

Steinpilze haben ein Röhrenfutter und gehören zu den häufigsten und begehrtesten Speisepilzen. Fliegenpilze haben Lamellen und jedes Kind weiß, dass die giftig sind. Also haben alle giftigen Pilze Lamellen und alle essbaren Pilze Röhren. Klingt doch einfach nur logisch, oder?
Wäre es wahr, dürfte niemand Pfifferlinge oder Champignons essen. Wie verhält es sich mit einer Trüffel? Wozu zählt ein Riesenbovist?

Diese Regel ist höchst pauschalisierend und dadurch hochgradig gefährlich.

2. Die Silberlöffelprobe. Kocht oder dünstet man Pilze, und hält dabei einen Silberlöffel ins Wasser, läuft er schwarz an, sofern es sich um Giftpilze handelt.

Dieses Gerücht ist wirklich uralt und sehr, sehr hartnäckig. Noch dazu bar jeglichen Nutzens. Silberlöffel laufen ohnehin schnell an, wenn sie mit Lebensmitteln in Kontakt kommen. Verantwortlich dafür sind Schwefelwasserstoffe, die sich auf dem Silber als schwarzer, brauner oder gelblicher Film niederschlagen. Und da in mehr Lebensmitteln Schwefel enthalten ist, als man vermutet, laufen die Löffel (oder Gabeln, oder Messer …) eben auch an, wenn sie mit Pilzen in Kontakt geraten. Das gleiche passiert mit Eiern (was meinen Sie, warum man Schwefelgeruch immer mit dem Gestank von faulen Eiern vergleicht?). Warum und weshalb jetzt jemand auf die Idee kam, diese chemische Reaktion zeige Giftstoffe an, weiß ich nicht. Man kann aber nur eindringlich von dieser Methode abraten.
Dasselbe gilt für den nächsten Kandidaten:

3. Eine mitgekochte Zwiebelknolle verfärbt sich schwarz, sofern es sich um Giftpilze handelt.

Das ist wahrscheinlich die Spar-Variante von Regel 2. Also für die, die kein Silberbesteck daheim haben (Hotel- oder Alpakasilber zählt nicht). Ist ja nicht mehr so „in“.
Ansonsten gilt das gleiche wie in Erklärung zu 2.

4. Färbt sich Salz, welches man auf die Pilzlamellen gestreut hat, gelb – so handelt es sich um einen Giftpilz.

Moment mal, waren nicht ohnehin alle Lamellenpilze auch Giftpilze? Wenn man also Regel Nummer 1 beherzigt, braucht man diese Methode also gar nicht anwenden. Aber Scherz beiseite. In meinen Pilzbüchern wird öfter vor diesem Aberglauben gewarnt. Ich selbst habe es aber noch nie ausprobiert. Abgesehen davon, dass man diese Methode ins Reich der Mythen und Fabeln einordnen kann, interessiert es mich wirklich, ob sich da Salz verfärben könnte. Wer dazu Erfahrungsberichte vorweisen kann, möge sie hier posten. Bitte angeben, welche Pilze getestet wurden und welches Salz verwendet wurde.

5. Pilze, die von Tieren (jeglicher Größe) gefressen werden oder befallen sind, sind essbar. Schnecken und Würmer irren nicht.

Ich liebe diese Regel. Sie ist durch die schöne Analogie wieder so zwingend logisch. Was kleineren Tieren bekommt, kann für uns Menschen ja nicht schlecht sein, oder? Sie haben nur ein Problem dabei. Sie müssen das Tier inflagranti beim Verzehr des Pilzkandidaten ertappen. Dann ist entweder der Pilz schon verschnabuliert (z.B. von einem Wildschwein) oder madig bzw. von Schnecken angeknabbert. Im ersten Fall haben Sie nichts mehr vom Pilz und im zweiten Fall würde ich ihn aus unappetitlichen Gründen auch stehenlassen.

Die Regel ist natürlich kompletter Unsinn. Viele Tiere sind gegen Pilzgifte resistent oder werden es durch stetigen Verzehr. Diese Resistenz tritt sogar bei einigen Menschen auf. Nur weil man nicht sofort an einer Pilzmahlzeit stirbt, muss der Pilz kein Gift enthalten. Beispielsweise verzehrte man früher den Kahlen Krempling, der es einem noch Jahre später mit einer Hämolyse-Erkrankung danken kann.

6. Pilze sind nur dann giftig, wenn sie auf Unrat gewachsen sind. Das bedeutet, sobald sie auf Aas, verfaultem Holz oder nahe rostigen Eisens gewachsen sind, sollte man die Finger von ihnen lassen. Ansonsten sich alles schmecken lassen, was auf einer grünen Wiese aus dem Boden schießt.

Das ist mithin die älteste Unterscheidungsregel, die ich gefunden habe. Sie soll noch auf die Römerzeit zurückgehen. Es ist sogar ein Körnchen Wahrheit dabei. Geschmacklich sind ja durchaus Unterschiede auszumachen, je nachdem auf welchem Substrat der Pilz wuchs. Das betrifft aber leider nur den Geschmack aber nicht seine Giftstoffe. Also ganz schnell auf den Müllhaufen der Irrtümer mit dieser Regel.

7. Pilze die schön aussehen oder angenehm riechen, sind essbar. Die anderen sind es logischerweise nicht.

Auch eine Regel mit schönem Analogieschluss. Nur, was ist jetzt ein schöner Pilz? Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Ich finde, dass der Fliegenpilz einer der schönsten Pilze in unseren Wäldern ist. Ich würde aber nicht auf die Idee kommen, mir daraus eine Mahlzeit zuzubereiten (obwohl es Mittel und Wege geben soll, diesen Pilz ohne gesundheitlichen Schaden zu verspeisen). Die Grünen Knollenblätterpilze riechen im Jungstadium angenehm süßlich, nur die Anwendung dieser Regel wäre hier sehr endgültiger Natur.

8. Alle milden Täublingsarten sind essbar.

Puh. Diese Regel hat es in sich. Setzt sie doch voraus, dass der Anwender zumindest weiß, was Täublinge sind. Wenn er aber weiß, was Täublinge sind, wird er sich nie auf solchen Humbug verlassen. Sie verstehen die Problematik? 😉

Gerade bei den Täublingen gibt es eine Vielzahl sich ähnlich sehender Arten. Dazu eine Reihe von Giftpilzen anderer Gattungen, die wiederum den Täublingen ähnlich sehen. Einen mir unbekannten Pilz würde ich keiner Geschmacksprobe unterziehen.

9. Austretende Säfte oder extreme Farben und Farbumschläge lassen auf einen Giftpilz schließen.

Diese Regel muss auch schon sehr alt sein. In der Zeit vor der seriösen Wissenschaft fanden die Menschen sehr schnell schlüssige Erklärungen für das Unerklärliche: es konnte nur Teufelswerk sein (es gibt da einige sehr schöne Erklärungsansätze für die Existenz von Pilzen, aber dazu gern ein anderes Mal mehr). Blutete ein Pilz stark in roter Farbe, ließ man besser die Hände von ihm. Auch wenn es sich um einen schmackhaften Reizker gehandelt haben kann.

Das Problem hierbei ist, dass austretende Säfte sehr wohl dazu benutzt werden, um eine Pilzart eindeutig zu bestimmen. Vor allem, wenn es mehrere einander täuschend ähnliche Arten gibt. Bestimmte Pilze sondern Flüssigkeiten ab, andere wiederum nicht. Oxidationsprozesse sorgen dann dafür, dass diese Flüssigkeiten die Farben ändern können. Dabei zeigt die Farbe an den Bruchstellen aber nie ein Gift an, sondern lässt nur Rückschlüsse auf die Pilzart an sich zu (der dann wieder giftig oder harmlos sein kann).

Das sind alle „Weisheiten“ über die Thematik Essbarkeit von Pilzen und wie ich sie bestimmen kann, die ich gefunden habe. Kennt jemand noch mehr, ist er eingeladen diese mitzuteilen.

Und was lernen wir daraus?

Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Befolgung aller hier angeführten Aberglauben-Regeln nur eins bewirkt: Dass Sie sehr schnell Bekanntschaft mit dem Krankenhaus oder auch dem Friedhof machen können. Und dann haben Sie von Pilzen erst einmal den Kanal voll.

Der wirksamste Schutz vor Pilzvergiftungen besteht darin, sich genaue Kenntnisse über Pilze und wie man sie unterscheidet anzueignen. Das lässt sich auf zahlreichen Wegen erreichen. Pilzberatungsstellen, Pilzbücher, gemeinsame Pilzjagden mit Pilzkennern – mittlerweile gibt es sogar geführte Workshops – man muss sich nur eingestehen, dass man immer noch lernen kann. Beim Pilzesammeln ist eine gehörige Portion Skepsis von Nutzen. Die Variationen innerhalb einer Art können beträchtlich sein! Nicht alles einsammeln, was einen anlächelt. Im Zweifelsfall den Pilz einfach mal stehenlassen. Soviel Geduld muss sein.

Das ist ein kleiner Nachtrag zu meinem Artikel „Eßbar oder giftig? – 9 populäre Irrtümer über Pilze“. Ich hatte ja schon dort vermerkt, dass sich das Thema nicht so schnell abhandeln lässt.

Daher folgt hier quasi eine kleine Fortsetzung.

Ausgangsfrage

Nach Auswertung der Zugriffsdaten nach Veröffentlichung meines Artikels über den Aberglauben und Irrtümer, die das Pilze Sammeln so mitbringt, war ich schon erstaunt, was für Suchanfragen man dort lesen konnte. Dass sich so manches Halbwissen nicht aus der Welt bringen lässt, damit hatte ich ja schon gerechnet – aber dass sich gerade der Blödsinn mit den Röhren und den Lamellen und der sich dunkel färbenden Zwiebel so lange hält, das hat mich wirklich überrascht.
Und dann gab es noch Anfragen, die es wert sind, darauf genauer einzugehen. Aber alles der Reihe nach.

Das Reich der Pilze und ihre Erforschung

Man hat bisher an die 100 000 Arten von Pilzen identifiziert. Da ist dann aber von Mikroorganismen bis Schleimpilzen alles vertreten, was die Wissenschaft in die große Gruppe der Pilze einordnet. Die Gruppe der Ständerpilze (also was wir als „Pilzen“ in Mitteleuropa in Wald und Flur begegnen) ist mit ca. 3000 Arten zwar recht übersichtlich, aber immer noch groß genug, um sogenannte Pilzkenner als Aufschneider zu entlarven, die „alle Pilze kennen wollen“.
Ständerpilze waren für lange Zeit ungeliebte Stiefkinder innerhalb der biologischen Forschung. Man konzentrierte sich eher auf niedere Pilzgattungen. Diese spielen in der Medizin (siehe Penicillin) oder Lebensmittelindustrie (Schimmelpilze, Hefen) eine große Rolle.
Somit kam es, dass das Wissen über die Ständerpilze eher von ehrenamtlichen Pilz- und Naturforschern zusammengetragen wurde. Mit der Identifizierung von Pilzgiften und Erforschung ihrer Wirkungsweise ließ man sich erstaunlich viel Zeit.

Von der Schwierigkeit Pilze einzuteilen

Als erstes muss man festhalten, dass eine Unterteilung „Speisepilz“ / „Giftpilz“ in dieser Simplizität nicht sinnvoll ist. Man könnte es eher so sagen: Es gibt Pilze, deren Verzehr zum Wohlbefinden beiträgt (darunter fallen dann die allseits bekannten Steinpilze, Pfifferlinge, Maronen oder Champignons etc.) und Pilze, die der Gesundheit definitiv nicht zuträglich sind (Grüner Knollenblätterpilz, Fliegenpilz etc.). Diese Gruppen bilden die beiden, marginalen Pole in der Verträglichkeit von Pilzen. Die Gruppe dazwischen ist nicht nur verhältnismäßig groß sondern auch sehr indifferent in der Bewertung.

Giftpilze durch und durch

Es gibt die Pilze, die eindeutig giftig sind. Als abschreckendes Beispiel kann immer wieder der Grüne Knollenblätterpilz herhalten, der im Englischen den äußerst passenden Namen „Todeshaube“ trägt. Im Bild links kann es sich allerdings auch um einen Pantherpilz handeln, aber hier kann man auch gut sehen, dass die Hutfarbe oder das Vorhandensein/nicht Vorhandensein von Schuppen allein keine sicheren Bestimmungskriterien sind. Bei diesem Bild handelt es sich aber eindeutig um zwei Todeshauben, da sie von Naturfrevlern umgestossen, eine genauere Untersuchung ermöglichten.
In die Gruppe der hochgiftigen Pilze fallen auffallend viele Wulstlinge, wie der erwähnte Grüne Knollenblätterpilz, der Weiße Knollenblätterpilz, der Gelbe Knollenblätterpilz (man überlegte lange, ihn aufgrund seiner nur schwach ausgeprägten Giftigkeit als unbedenklich einzustufen; aber die Verwechslungsgefahr mit seinem grünen Bruder ist doch zu groß), der Pantherpilz und der Fliegenpilz.
Sonst wären noch zu nennen: der Ziegelrote Rißpilz, der Riesenrötling, der Orangenfuchsige Raukopf und der Satanspilz.

Diese Arten bewirken schwerste Vergiftungen, die bis zum Tod führen können. Gerade bei den Knollenblätterpilzen ist die Latenzzeit manchmal sehr hoch, so dass es zu irreparablen Schäden gekommen sein kann, bevor man die Pilzvergiftung überhaupt erkennt.

Ungenießbare oder schwach giftige Pilze

Dann gibt es Pilze, die man aus Ermangelung eines besseren Begriffs als „ungenießbar“ einstuft. Der Begriff ist meiner Ansicht nach sehr unglücklich gewählt, und zwar deshalb, weil darunter auch oft Giftpilze eingeordnet sind, die aber nicht unbedingt zum Tode führen müssen. „Ungenießbar“ deutet ja eher an, dass es sich um eine Geschmacksfrage handelt – und über Geschmack kann man sich zwar trefflich streiten, aber nicht wenn gesundheitliche Aspekte davon betroffen sind. Als Ungenießbar ordnet man viele Pilze ein, die zum Beispiel Verdauungsstörungen hervorrufen (Durchfall, Erbrechen, Koliken), wie den Speitäubling oder den Karbolegerling.

Pilzallergien

Dann gibt es die Fälle, in denen bestimmte Menschen allergisch auf gewisse Inhaltsstoffe in einigen Pilzen reagieren. Das kann sogar auf Arten zutreffen, die normalerweise den eindeutig verträglichen Speisepilzen zugeordnet werden. Mir ist aber kein Fall bekannt, in dem eine solche Allergie auf einen Speisepilz zum Tode oder zu ernsthaften Komplikationen führte.

Die Rolle der Zubereitung oder Verwendung von Pilzen

Bei vielen Pilzen ist die Giftigkeit von der Zubereitung der Mahlzeiten abhängig. Bis auf den Zuchtchampignon sind alle Pilze im rohen Zustand entweder unverträglich oder giftig! Da einige Pilzgifte hitzeanfällig (thermolabil) bzw. wasser- oder alkohollöslich sind, kann man sie erst nach langem Kochen (indem man das Pilzwasser wegschüttet) oder Braten sorglos genießen. Einige Pilzgerichte dürfen nicht zusammen mit Alkohol genossen werden. Der Faltentintling heißt nicht umsonst Alkoholikerpilz. Sein Gift ist besonders gut in Alkohol löslich, was die Aufnahme in den Blutkreislauf begünstigt.

Unvermutete Gifte bei Speisepilzen

Aber auch geschätzte Speisepilze können unerwartet zu bösen Gesellen werden, indem sie beispielsweise zu lange gelagert oder in schlechtem Zustand gesammelt werden. Bei zu langer Lagerung werden die Eiweiße zu Giftstoffen zersetzt oder Schimmelpilze, Würmer und andere Insekten befallen den Fruchtkörper. Das ist der Grund, weshalb man nur einwandfreie Exemplare sammelt und diese schnell weiterverarbeitet.
Der ansonsten vorzüglich schmeckende Schopftintling muss z.B. innerhalb von Stunden zubereitet werden, sonst entwickelt er sich zu einem kulinarischen Alptraum.

Wackelkandidaten und späte Erkenntnisse

Hallimaschtraube
Hallimaschtraube

Es gibt eine ganze Reihe von Pilzen, über deren Bewertung seit Jahrzehnten kontrovers beschieden wird. Was für z.T. gegensätzliche Meinungen ich schon über den Kahlen Krempling oder den Hallimasch gelesen habe. Der Kahle Krempling galt seit langer Zeit als lohnender Speisepilz, weil er häufig und verlässlich in unseren Wäldern vorkommt. Auf osteuropäischen Märkten wird er immer noch angeboten. Mittlerweile steht er im Verdacht, als Spätfolge Hämolyse auszulösen. Aber das ist eben das Problem, dass viele Pilzgifte ihre Wirkung erst nach Jahren zeigen und man sie dann nicht mehr eindeutig dem Pilzverzehr zuordnen konnte. Es gibt so einige Kandidaten, die man mittlerweile misstrauisch betrachtet, obwohl in früheren Lehrbüchern ihr Genuss als unbedenklich oder sogar empfohlen eingestuft wird.

Früher wurde auch der Hallimasch oft gesammelt und gegessen, wenn auch nur die „honiggelbe“ Variante desselben. Aber schon in den alten Pilzbüchern wird vor seiner Unverträglichkeit gewarnt und zudem empfohlen, das Kochwasser besser wegzuschütten. Heute lässt man eher die Finger von ihm.

Trügerische Anzeichen und gefährliches Halbwissen

Ein großes Problem ist neben der Verwechslung von Pilzarten, die Anwendung „uralter“ Pilzweisheiten bei Vergiftungsfällen. Dieser Pilz riecht gut, er sieht gut aus und auch andere Tiere scheinen ihn zu mögen. Pilzgifte kann man nicht riechen, man kann sie nicht unbedingt schmecken und andere Tiere können immun oder resistent dagegen sein. Nehmen sie zum Beispiel die Knollenblätterpilze. Junge Exemplare haben süßlichen, an Kunsthonig erinnernden Geruch (der sich im Alter allerdings in sein ekelhaftes Gegenteil verkehrt) oder duften nach Kartoffeln (Gelber Knollenblätterpilz). Fliegenpilze gehören zu den schönsten Pilzen im Wald. Wer sich durch solche Merkmale täuschen lässt, täuscht sich mitunter nur dieses eine Mal im Leben.

Unerwartete Pilzgenüsse

Den Fliegenpilz kenne ich nur in seiner Verwendung als, nun ja, Fliegentod (oder Muggentod). Der Hut wurde kleingeschnitten, die Stückchen in eine Schale mit gezuckerter Milch gegeben und dann im Raum aufgestellt. Die Fliegen, welche sich von der gezuckerten Milch magisch angezogen fühlten, gingen direkt in den Fliegenhimmel.
Diese dann doch recht umständliche Vorgehensweise hatte sich natürlich mit dem Aufkommen von Mückentötolin erledigt (wir sagten muxen dazu, weil das entsprechende Insektenmittel Mux hieß).
Ja, die Fliegenpilze. Es wird ja immer ihre Verwendung als Rauschmittel bei irgendwelchen sibirischen Naturvölkern herangezogen. Man sollte aber auch erwähnen, dass ihre Verwendung den Schamanen vorbehalten ist (um im Rauschzustand Kontakt zu den Gottheiten aufzunehmen) und sie keineswegs eine Funktion im Nahrungsbereich haben.

Nichtsdestotrotz habe ich in einigen Quellen gelesen, dass sie trotz ihrer erwiesenen Giftigkeit häufig gegessen worden sind. Einer der frühen deutschen Pilzforscher, Edmund Michael, berichtet von alten Frauen in Süddeutschland, die noch um die Zubereitung des Fliegenpilzes wüssten. Hauptbestandteil ist immer das Abziehen der Huthaut, da diese wohl den Großteil des Giftes beherbergt. Wahrscheinlich zieht man sehr oft auch bei anderen Pilzen die Huthaut ab, um eventuelle Giftstoffe zu entfernen. Das Kochen in Milch und Sahne soll angeblich den Fliegenpilzen weitere Giftstoffe entziehen.
In der Gegend östlich des Gardasees in Oberitalien, aber auch in Frankreich und Russland, soll es bis in die 1970er hinein Fliegenpilze in Salzlake gegeben haben. Das Einlegen in Salz verhindert die typischen Rausch- und Tobsuchtsanfälle, die der Genuss des Fliegenpilzes mit sich bring.
Inwieweit das heute alles noch zutreffend ist, kann ich nicht sagen. Über Hinweise wäre ich aber froh.

Es gibt so viele hervorragende Speisepilze in der Natur, die man problemlos sammeln kann. Auf Küchenexperimente mit Fliegenpilzen oder Gelben Knollenblätterpilzen (er gilt nur als schwachgiftig, ist aber von der vielseitigen grünen Variante kaum zu unterscheiden) kann und sollte man getrost verzichten.

Sammleranfragen

Auffallend häufig tauchten Suchanfragen bezüglich eines giftigen Doppelgängers zur Marone auf. Ich habe noch einmal ausgiebig recherchiert, aber in unseren Breiten ist die Marone in gesundem, mittelalten Zustand eigentlich mit keinem anderen Pilz zu verwechseln. Manche dunkle Steinpilzart (schwarzer Steinpilz, Fichtensteinpilz) sieht der Marone etwas ähnlich, wobei es aber genügend Anzeichen zur Unterscheidung gibt (Farbe des Röhrenfutters, Stielzeichnung). Sollte dennoch eine Verwechslung vorkommen, macht das nichts, da die Steinpilze auch essbar sind.
Steinpilze wiederum verwechseln Anfänger hin und wieder mit Gallenröhrlingen, aber bis zur Marone – das ist mir über zu viele Ecken konstruiert.

2 Gedanken zu „Essbar oder giftig? – 9 populäre Irrtümer über Pilze“

  1. Hallo „Chefkommentator“,
    Schöne Aufstellung, und eine gute Idee, mit den verbreiteten Aberglauben und Mythen über Pilze mal aufzuräumen!
    Anmerkungen:
    – Es heißt „Resistenz“, „resistent“ (unempfindlich, immun) und nicht „Renitenz“, „renitent“ (widerspenstig, sich widersetzen).
    – Der Pilz (bzw. einer der Pilze), den man nicht zusammen mit Alkohol konsumieren sollte, heißt nicht „Tintenfaltling“, sondern „Faltentintling“.
    Man ißt aus dieser Gruppe aber eher den jungen Schopftintling. (sog. „Spargelpilz“)

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    • Hallo Sabine,

      schön für mich zu erfahren, dass dieser Beitrag trotz seines „hohen“ Alters immer noch gelesen wird.
      Bei den Punkten hast Du natürlich Recht. Das ändere ich ab. Ich gehe demnächst sowieso den Text durch und füge noch einiges an.

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